Leopard
SAS geführt. Ich hab ihr Bestellsystem überprüft. Er hat ein Flugticket nach Kopenhagen geordert.«
»Hm. Er schien mir nicht der Typ zu sein, der viel reist.«
»So viel ist sicher. Er hat zwar einen gültigen Reisepass, ist aber nicht in einem einzigen Ticketsystem registriert. Und das gilt für die letzten fünfundzwanzig Jahre.«
»Der Mann hat sich also so gut wie gar nicht von seinem Wohnort wegbewegt. Und plötzlich will er nach Kopenhagen. Wann wäre er denn geflogen?«
»Gestern.«
»Okay. Danke.«
Harry legte auf und schnappte sich seinen Mantel. In der Tür drehte er sich noch einmal um. Sah sie an. Die hübsche Frau, seine Schwester. Wollte sie fragen, ob sie allein zurechtkam, ohne ihn. Konnte die idiotische Frage aber gerade noch herunterschlucken. Wann war sie nicht ohne ihn zurechtgekommen?
»Tschüs«, sagte er.
Jens Rath stand an der Rezeption des Gemeinschaftsbüros. Sein Rücken war schweißnass. Er war in seinem Büro angerufen worden, dass er Besuch von der Polizei hatte. Ein paar Jahre zuvor war die Behörde für Wirtschaftskriminalität auf ihn aufmerksam geworden, aber die Ermittlungen waren eingestellt worden. Trotzdem brach ihm noch immer der kalte Schweiß aus, wenn er irgendwo ein Polizeiauto sah. In diesem Moment spürte Jens Rath, wie sich seine Schweißporen weit öffneten. Er war klein und musste zu dem Polizisten aufsehen, der sich von einem Stuhl erhoben hatte. Er überragte Jens um mindestens einen Viertelmeter und begrüßte ihn mit einem festen, kurzen Händedruck. »Harry Hole, Mord… Kriminalamt. Es geht um Tony Leike.«
»Gibt's was Neues?«
»Können wir uns setzen, Rath?«
Sie nahmen in Le-Corbusier-Sesseln Platz, und Rath gab Wenche an der Rezeption diskret zu verstehen, dass sie ihnen
keinen
Kaffee servieren sollte, wie sonst bei Investorenbesuchen üblich.
»Ich möchte, dass Sie uns begleiten und uns zeigen, wo seine Hütte ist«, sagte Harry.
»Welche Hütte?«
»Ich hab gesehen, dass Sie den Kaffee abbestellt haben, Rath, und das ist in Ordnung, auch meine Zeit ist kostbar. Ich weiß, dass Ihr Fall bei der Behörde für Wirtschaftskriminalität eingestellt wurde, aber es würde mich nur einen Anruf kosten, Ihnen die Ermittler wieder auf den Hals zu hetzen. Ich will damit nicht sagen, dass sie dieses Mal etwas finden würden, aber ich garantiere Ihnen, dass die Unterlagen, die Sie denen werden vorlegen müssen …«
Rath schloss die Augen. »Oh, mein Gott…«
»… Sie länger beschäftigen werden als der Bau der Hütte für Ihren Kollegen, Freund und Schicksalsbruder Tony Leike. Was meinen Sie?«
Jens Raths einziges Talent bestand darin, schneller und sicherer als die meisten anderen abschätzen zu können, was für ihn von Vorteil war. Und das Rechenstück, das ihm soeben vorgelegt worden war, konnte er schon nach einer Sekunde beurteilen.
»In Ordnung.«
»Wir brechen morgen früh um neun Uhr auf.«
»Wie …«
»Auf die gleiche Weise, wie Sie das Material dort hinaufgeschafft haben. Mit dem Helikopter.« Harry erhob sich.
»Nur eine Frage noch. Tony hat sehr genau darauf geachtet, dass absolut niemand von der Hütte erfuhr. Ich glaube, nicht einmal Lene, seine Verlobte, hat davon gewusst. Wie also …«
»Eine Quittung über Baumaterial aus Geilo und ein Foto von Ihnen dreien in Arbeitskleidung mit einem Helikopter im Hintergrund.« Jens Rath nickte kurz. »Klar.
Das
Foto.«
»Wer hat es eigentlich aufgenommen?«
»Der Pilot. Vor dem Abflug in Geilo. Es war Andreas' Idee, es mit der Pressemitteilung zu verschicken, als wir unser Gemeinschaftsbüro eröffneten. Er fand ein Bild von uns in Arbeits klamotten witziger als eines mit Anzug und Krawatte. Und auch Tony fand die Idee gut. Denn es sah so aus, als gehöre der Helikopter uns. Wie auch immer, die Finanzpresse nutzt das Bild immer wieder.«
»Wieso haben Sie und Andreas nichts gesagt, als Tony Leike vermisst gemeldet wurde?«
Jens Rath zuckte mit den Schultern. »Verstehen Sie das nicht falsch. Uns liegt genauso viel wie Ihnen daran, dass Tony so schnell wie möglich wieder auftaucht. Wir leiern gerade ein Projekt im Kongo an, das uns durch die Lappen geht, wenn Tony nicht bald mit zehn Millionen frischen Kronen an Land kommt. Aber eines weiß ich: Wenn Tony abtaucht, dann immer, weil er es will. Er kommt schon durch. Vergessen Sie nicht, er war Söldner. Ich wette, dass er in diesem Augenblick irgendwo mit einem Drink, einer exotischen Raubkatze im Arm und einem Grinsen im Gesicht
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