Leopard
Mikael Bellman an. Sie waren sich erst einmal begegnet, natürlich im Zusammenhang mit einem Mordfall, aber Johan Krohn hatte gleich gewusst, was er von Bellman zu halten hatte. Ein Falke erkennt den anderen. Nur zu gut konnte er deshalb nachvollziehen, wie Bellman sich nach den Schlagzeilen des Tages über die Festnahme durch den Dorfpolizisten fühlte.
»Bellman.«
»Johan Krohn.«
»Guten Tag, Herr Krohn.« Die Stimme klang förmlich, aber nicht unfreundlich. »Ist das wirklich ein guter Tag für Sie? Fühlen Sie sich nicht ziemlich abgehängt auf der Zielgeraden?«
Kurze Pause. »Worum geht es, Krohn?« Verbissen. Wütend. Johan Krohn wusste, es würde funktionieren.
Harry und Sos saßen schweigend am Bett ihres Vaters im Reichshospital. Auf dem Nachtschränkchen und zwei weiteren Tischen im Raum standen Vasen mit Blumen, die in den letzten Tagen gekommen waren. Harry hatte die Grußkarten gelesen. Auf einer stand »Mein lieber, lieber Olav«, unterzeichnet »Deine Lise«. Harry hatte noch nie etwas von einer Lise gehört, geschweige denn jemals darüber nachgedacht, dass es außer seiner Mutter noch andere Frauen im Leben seines Vaters gegeben haben könnte. Die anderen Blumen waren von Kollegen und Nachbarn, die irgendwie erfahren hatten, dass es aufs Ende zuging. Und die, obgleich sie wussten, dass er sie nicht mehr sehen konnte, ihm diese süßlich stinkenden Blumen geschickt hatten, um wiedergutzumachen, dass sie sich nicht die Zeit genommen hatten, ihn zu besuchen. Harry betrachtete die Blumen, die sich um das Bett scharten wie Aasgeier um einen Sterbenden. Schwere, hängende Köpfe auf dünnen Hälsen. Rote und gelbe Schnäbel.
»Handys sind hier nicht erlaubt, Harry!«, flüsterte Sos streng.
Harry fischte das Handy aus der Tasche und schaute aufs Display. »Tut mir leid, Sos. Es ist wichtig.«
Katrine Bratt kam gleich zur Sache: »Leike war unzweifelhaft häufiger in Ustaoset und Umgebung«, sagte sie. »Er hat in den letzten Jahren das ein oder andere Zugticket übers Internet bestellt und an der Tankstelle in Geilo mit seiner Kreditkarte bezahlt. Ebenso Lebensmittel, meistens in Ustaoset. Das Einzige, was aus dem Rahmen fällt, ist eine Quittung über Baumaterial, ebenfalls in Geilo.«
»Baumaterial?«
»Jawohl. Ich hab mich in deren Rechnungsübersicht eingeloggt. Bretter, Nägel, Werkzeug, Stahlseile, Hohlblocksteine, Zement. Für über 30 000 Kronen. Aber die Quittung ist vier Jahre alt.«
»Denkst du das Gleiche wie ich?«
»Dass er da oben einen kleinen Annex gebaut hat?«
»Er hat keine registrierte Hütte, an die er anbauen könnte, das haben wir überprüft. Aber du deckst dich nicht mit Lebensmitteln ein, wenn du in einem Hotel oder einer Touristenhütte wohnst. Ich glaube, Tony hat sich irgendwo im Nationalpark einen illegalen kleinen Unterschlupf gebaut. Er hat mir erzählt, dass das sein großer Traum war. Natürlich gut im Gelände versteckt. Ein Ort, an dem er vollkommen seine Ruhe hatte. Aber wo?« Harry stellte fest, dass er aufgestanden war und im Zimmer auf und ab ging.
»Tja, sag es mir«, sagte Katrine Bratt.
»Warte mal! Wann hat er das Zeug gekauft? In welcher Jahreszeit?«
»Sehen wir mal nach … 7. Juli steht auf dem Kassenbon.«
»Wenn die Hütte unsichtbar sein soll, muss sie ein Stück von der Straße entfernt liegen. Ein einsamer Ort ohne Wege. Hast du Drahtseile gesagt?«
»Ja. Und ich ahne auch, wofür. Als die Bergenser in den sechziger Jahren an den Wind und Wetter ausgesetzten Plätzen in Ustaoset ihre Hütten gebaut haben, haben sie Stahlseile verwendet, um ihre Hütten zu verankern.«
»Dann liegt Leikes Hütte also vermutlich an einer windigen, einsamen Stelle, zu der er Baumaterial im Wert von 30 000 Kronen transportiert hat. Das dürften ein paar Tonnen gewesen sein. Wie stellt man das an? Im Sommer, wenn kein Schnee liegt und man keinen Schneescooter benutzen kann?«
»Pferde? Ein Jeep?«
»Über Flüsse, Moore, die Berghänge hoch? Neuer Versuch.«
»Keine Ahnung.«
»Aber ich. Mir kommt da ein Foto in den Sinn. Ich melde mich wieder.«
»Warte.«
»Ja?«
»Du hast mich gebeten, Utmos Aktivitäten in den letzten Tagen seines Lebens zu überprüfen. Er hat nicht viele Spuren in der elektronischen Welt hinterlassen, wie du dir denken kannst, aber er hat ein paar Telefonate geführt. Eins seiner letzten mit Aslak Krongli. Scheint aber nur den Anrufbeantworter erreicht zu haben, wie es aussieht. Das definitiv letzte Telefonat hat er mit der
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