Leopard
lassen. Das hat drei Stunden gedauert.«
»Ich weiß«, log Harry. »Aber ich wollte ja auch mit Ihnen sprechen.«
»Mit mir?«
»Darf ich reinkommen?«
Er folgte ihr in die Küche. Sie nickte in Richtung eines Stuhls, drehte ihm den Rücken zu und goss Kaffee ein. »Wie geht die Geschichte?«, fragte Harry. »Welche Geschichte?«
»Die, dass Sie die Mutter von Lene sind.«
Die Kaffeetasse schlug auf dem Boden auf und zersprang in tausend Stücke. Die Frau stützte sich an der Anrichte ab, und er sah, wie sich ihr Rücken hob und senkte. Harry zögerte einen Augenblick, doch dann holte er Luft und sagte, wozu er sich entschieden hatte:
»Wir haben eine DNA-Analyse gemacht.«
Sie wirbelte herum, wütend: »Wie konnten Sie? Sie haben nicht das …« Abrupt hielt sie inne.
Harrys Blick begegnete ihrem. Sie war auf den Bluff hereingefallen. Ihm war nicht wohl dabei, vielleicht schämte er sich sogar, aber das ging vorbei. »Raus!«, zischte sie.
»Raus zu denen?«, fragte Harry und nickte in Richtung der Paparazzi. »Ich werde meine Stellung als Polizist aufgeben und verreisen. Dafür brauche ich Kapital. Wenn man einem Friseur 20 000 Kronen zahlt, damit er rausposaunt, in welchem Farbton er Lenes Haare getönt hat, wie viel zahlt man dann wohl jemandem, der zuverlässige Angaben über die leibliche Mutter Lene Galtungs machen kann?«
Die Frau trat einen Schritt vor, hob die rechte Hand wie zu einem Schlag, doch dann verlosch die Wut, Tränen stiegen in ihre Augen, und sie sank kraftlos auf einen der Küchenstühle. Harry fluchte innerlich, er wusste, dass er unnötig brutal gewesen war. Aber die Zeit ließ keine einfühlsame Vorgehensweise zu.
»Entschuldigung«, sagte er. »Aber ich versuche, Ihre Tochter zu retten. Und dafür brauche ich Ihre Hilfe, verstehen Sie das?«
Er legte seine Hand auf ihre, aber sie zog sie weg.
»Er ist ein Mörder«, sagte Harry. »Aber das ist ihr egal, nicht wahr? Sie will es trotzdem tun?«
»Was tun?«, schluchzte die Frau. »Ihm bis ans Ende der Welt folgen.«
Sie antwortete nicht, schüttelte nur den Kopf und weinte still.
Harry wartete. Stand auf, goss sich Kaffee ein, riss ein Blatt von der Küchenrolle, legte es vor ihr auf den Tisch, setzte sich wieder und wartete. Nahm einen Schluck. Wartete.
»Ich habe ihr gesagt, dass sie nicht den gleichen Fehler wie ich begehen soll«, sagte sie und schniefte. »Sie sollte sich nicht in einen Mann verlieben, nur weil der … nur weil der sie dazu bringt, sich
schön
zu fühlen. Schöner, als sie es ist. Sie mögen das vielleicht für einen Segen halten, aber in Wahrheit ist es ein Fluch.«
Harry wartete.
»Einmal zu erleben, wie Sie durch seinen Blick schön werden, das ist… wie Zauberei. Und deshalb bleiben Sie. Bis zum bitteren Ende. Weil Sie darauf hoffen, es noch einmal zu erleben.«
Harry wartete.
»Ich bin in einem Wohnwagen aufgewachsen. Wir reisten herum, so dass ich nicht zur Schule gehen konnte. Als ich acht Jahre alt war, kam das Jugendamt und holte mich. Mit sechzehn begann ich in Galtungs Reederei zu putzen. Anders war verlobt, als er mich schwängerte. Nicht er hatte das Geld, sondern sie. Er hatte alles auf den Markt gesetzt, aber die Tankerraten fielen, so dass er keine andere Wahl hatte. Er schickte mich weg. Aber sie bekam es mit und entschied kurzerhand, dass ich das Kind bekommen und weiter als Haushaltshilfe bei ihnen arbeiten sollte. Mein Kind sollte wie die Tochter des Hauses erzogen werden. Anders' Frau konnte keine Kinder bekommen, so dass Lene eine Art Adoptivtochter wurde. Sie haben sie mir weggenommen. Mich mit der Frage konfrontiert, was ich Lene schon für eine Erziehung zuteilwerden lassen könnte. Ich, eine alleinerziehende Mutter ohne Ausbildung oder Angehörige. Ob ich es wirklich verantworten wollte, dem Kind die Möglichkeit eines guten Lebens zu verwehren? Ich war so jung, so voller Angst. Ich glaubte, sie hätten recht und dass es die beste Lösung wäre.«
»Und niemand hat davon gewusst?«
Sie nahm das Küchenpapier vom Tisch und putzte sich die Nase. »Es ist erstaunlich, wie leicht es ist, Menschen zu täuschen, die getäuscht werden wollen. Und wenn sie sich nicht täuschen ließen, ließen sie sich nichts anmerken. Aber das hatte eigentlich gar keine Bedeutung. Ich war nicht mehr und nicht weniger als die Gebärmutter für Galtungs Erben, was war schon dabei?«
»War das alles?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Nein. Ich hatte ja Lene. Hab sie gestillt und gefüttert,
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