Leopard
ihre Windeln gewechselt und zusammen mit ihr geschlafen. Habe ihr sprechen beigebracht, sie erzogen. Wir wussten alle, dass das nicht von Dauer war, dass ich sie eines Tages loslassen musste.«
»Haben Sie das getan?«
Sie lachte bitter.
»Kann
eine Mutter jemals loslassen? Eine Tochter kann das. Lene verachtet mich für das, was ich getan habe. Für das, was ich
bin.
Und jetzt macht sie genau das Gleiche.«
»Dem falschen Mann bis ans Ende der Welt folgen?«
Sie antwortete mit einem Achselzucken.
»Wissen Sie, wo sie ist?«
»Nein, nur dass sie los ist, um mit ihm zusammen zu sein.«
Harry nahm einen Schluck aus der Tasse. »Ich weiß, wo das Ende der Welt ist«, sagte er. Sie antwortete nicht.
»Ich kann dorthin fahren und versuchen, sie zu Ihnen zurückzubringen.«
»Sie will nicht zurückgeholt werden.«
»Ich kann es versuchen. Mit Ihrer Hilfe.« Harry holte einen Zettel heraus und legte ihn vor sie hin. »Was sagen Sie?«
Sie las. Dann hob sie den Blick. Schminke lief über ihre eingefallenen Wangen.
»Schwören Sie, dass Sie meine Tochter heil wieder nach Hause bringen. Schwören Sie. Wenn Sie das tun, stimme ich zu.«
Harry sah sie lange an.
»Ich schwöre«, sagte er.
Als er wieder vor dem Haus stand und sich eine Zigarette anzündete, dachte er an ihre Worte.
Kann eine Mutter jemals loslassen?
An Odd Utmo, der ein Bild seines Sohnes mit auf die Flucht genommen hatte.
Eine Tochter kann das.
War das wirklich so? Er atmete den Rauch aus. Und er? Konnte er loslassen?
Gunnar Hagen stand vor dem Gemüseregal seines Lieblingspakistani und starrte seinen Hauptkommissar ungläubig an. »Du willst zurück in den Kongo? Um Lene Galtung zu finden? Und das hat nichts mit dem Mordfall zu tun?«
»Genau wie beim letzten Mal«, sagte Harry und nahm ein Gemüse in die Hand, das er noch nie gesehen hatte. »Wir suchen nach einer vermissten Person.«
»Lene Galtung wird, soweit ich weiß, nicht vermisst, sieht man mal von der Regenbogenpresse ab.«
»Jetzt schon.« Harry zog einen Zettel aus seiner Manteltasche und zeigte Hagen die Unterschrift. »Von ihrer leiblichen Mutter.«
»Ach ja? Und wie soll ich der Behörde verklickern, dass wir ausgerechnet im Kongo mit der Suche anfangen?«
»Wir haben eine Spur.«
»Als da wäre?«
»Ich habe in einem dieser Klatschblätter gelesen, dass sich Lene Galtung die Haare ziegelrot gefärbt hat. Ich weiß nicht einmal, ob wir diese Farbbezeichnung hierzulande verwenden, vermutlich habe ich mich deshalb daran erinnert.«
»Woran erinnert?«
»Dass diese Haarfarbe auch im Pass von Juliana Verni aus Leipzig stand. Ich habe Günther gebeten, zu überprüfen, ob in ihrem Pass ein Stempel aus Kigali ist. Aber die Polizei hat diesen Pass nie gefunden. Er ist weg. Ich bin mir sicher, Tony Leike hat ihn an sich genommen.«
»Den Pass? Und?«
»Und jetzt hat ihn Lene Galtung.«
Hagen legte einen Bund Bok Choy in seinen Einkaufskorb, während er langsam den Kopf schüttelte. »Du begründest eine Kongo-Reise mit einem Artikel in einer Illustrierten?«
»Ich begründe sie damit, dass ich – oder besser gesagt Katrine Bratt – überprüft habe, was Juliana Verni in der letzten Zeit unternommen hat.«
Hagen ging auf die Kasse zu, die auf einem Podium vor der rechten Wand stand. »Verni ist tot, Harry.«
»Tote machen heutzutage Flugreisen. Es hat sich nämlich gezeigt, dass Juliana Verni -oder sagen wir mal eine Frau mit ziegelroten Locken – in Zürich einen Flug ans Ende der Welt gebucht hat.«
»Ans Ende der Welt?«
»Görna, Kongo. Morgen früh.«
»Man wird sie da festnehmen, wenn man feststellt, dass sie mit dem Pass eines Menschen unterwegs ist, der seit zwei Monaten tot ist.«
»Ich habe deshalb bei der ICAO angerufen. Man hat mir gesagt, dass es bis zu einem Jahr dauern kann, bis die Nummer einer verstorbenen Person aus dem Register gelöscht wird. Was wiederum heißt, dass jemand auch mit dem Pass von Odd Utmo in den Kongo gekommen sein kann. Wir haben jedenfalls kein Abkommen über eine polizeiliche Zusammenarbeit mit dem Kongo. Außerdem ist es dort sicher kein unlösbares Problem, sich von einer Verhaftung freizukaufen.«
Während der Mann an der Kasse die Waren eintippte, massierte Hagen sich die Schläfen, um den unausweichlichen Kopfschmerzen zuvorzukommen. »Dann finde sie in Zürich. Schick die Schweizer Polizei zum Flughafen.«
»Wir beschatten sie. Lene Galtung wird uns zu Tony Leike führen, Chef.«
»Sie führt uns eher in die Verdammnis,
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