Leopard
reden:
»Es hat ihm Spaß gemacht, mich zu schlagen. Inzwischen verstehe ich ihn. Dieses Gefühl der Macht, das aufkommt, wenn man jemandem Schmerzen zufügt, wenn man sieht, wie ein anderer sich fügt, deinen Willen geschehen lässt, wie im Himmel, so auf Erden.«
Sie erkannte den Geruch, der von ihm ausströmte, den Geruch nach Sex, dem Geschlecht einer Frau. Dann war seine Stimme wieder da, ganz dicht an ihrem Ohr: »Die Morde machten etwas mit mir. Als würde das Blut einen Samen zum Keimen bringen, der die ganze Zeit in mir gesteckt hatte. Ich begann zu verstehen, was ich seinerzeit im Blick meines Vaters gesehen hatte. Wiedererkennen. Denn so, wie er sich in mir erkannt hatte, begann ich jetzt, ihn in mir zu sehen, wenn ich in den Spiegel blickte. Die Macht gefiel mir.
Und
die Ohnmacht. Ich liebte das Spiel, das Risiko, den Abgrund und den höchsten Gipfel in einem. Denn wenn du auf einem Berg stehst, den Kopf in den Wolken, und den Chor der Engel hörst, musst du auch das Fegefeuer unter dir fauchen hören, sonst hat das alles keine Bedeutung. Mein Vater wusste das. Und ich weiß das jetzt auch.«
Lene sah rote Flecken hinter ihren geschlossenen Lidern vorbeitanzen.
»Erst ein paar Jahre später war mir klargeworden, wie sehr ich ihn hasste. Da stand ich mit einem Mädchen am Waldrand vor einer Disco. Ein Junge stürzte sich auf mich. Ich erkannte die Eifersucht in seinen Augen und sah meinen Vater mit dem Spaten auf mich und Mutter losgehen. Ich habe dem Jungen die Zunge aus dem Mund geschnitten. Sie haben mich festgenommen, und ich wurde verurteilt. Da habe ich erfahren, was ein Gefängnis mit einem macht. Und warum Vater seine eigene Haftstrafe nie auch nur mit einem Wort erwähnt hat. Ich musste nur eine kurze Haftstrafe absitzen. Trotzdem wäre ich dort drinnen fast verrückt geworden. Aber in dieser Zeit ist mir klargeworden, was ich tun musste. Er sollte für den Mord an meiner Mutter ins Gefängnis wandern. Ich wollte ihn nicht töten, sondern hinter Gittern sehen, lebendig begraben. Aber zuerst musste ich den Beweis finden, die Leiche meiner Mutter. Also baute ich mir da oben in den Bergen eine Hütte, weit weg von den Menschen, um nicht zu riskieren, dass jemand den Jungen wiedererkannte, der mit fünfzehn verschwunden war. Jedes Jahr suchte ich die Vidda ab, Quadratkilometer für Quadratkilometer. Ich begann, sobald der Schnee weg war, arbeitete am liebsten nachts, wenn sonst niemand draußen war, suchte alle Abgründe und Geröllfelder ab. Wenn es sein musste, übernachtete ich in einer Touristenhütte, da steigen ohnehin nur Fremde ab. Aber einige der Einheimischen müssen mich trotzdem gesehen haben, denn es kamen Gerüchte auf, der Junge von Utmo spuke in den Bergen herum.« Tony lachte in sich hinein. Lene öffnete die Augen, aber Tony bemerkte es nicht, er starrte auf das Mundstück einer Zigarette, das er gerade aus der Tasche des Morgenmantels gezogen hatte. Lene beeilte sich, ihre Augen wieder zu schließen.
»Nach dem Mord an Borgny kam ein neuer Brief, unterzeichnet von Charlotte. Jetzt behauptete sie, hinter den anderen Briefen zu stecken, und ich kapierte, dass ich in einem Spiel gefangen war. Natürlich konnte es sich um einen neuen Bluff handeln, hinter diesen Drohungen konnte jeder stehen, der in dieser Nacht in der Hävasshütte gewesen war. Ich fuhr noch einmal da hoch, um einen Blick ins Gästebuch zu werfen, aber die Seite für die Nacht war herausgerissen worden. Also tötete ich Charlotte. Und wartete auf den nächsten Brief. Er kam, und ich tötete Mark und dann Elias. Danach wurde es still. Dann las ich in der Zeitung, dass sich alle, die sich in derselben Nacht wie die Mordopfer in der Hävasshütte aufgehalten hatten, bei der Polizei melden sollten. Ich wusste natürlich, dass niemand wissen konnte, dass ich dort gewesen war. Wenn ich mich aber meldete, bestand vielleicht die Chance, von der Polizei zu erfahren, wer sich sonst noch dort befunden hatte. Wer es auf mich abgesehen hatte und wen ich noch töten musste. Ich meldete mich direkt bei demjenigen, der, wie ich glaubte, am meisten wusste. Dieser Ermittler, Harry Hole. Ich versuchte ihn über die anderen Gäste auszuquetschen. Aber ohne Erfolg. Stattdessen nahm mich dieser Mikael Bellman vom Kriminalamt fest. Er behauptete, jemand habe von meinem Telefon aus bei Elias Skog angerufen. In diesem Moment verstand ich, dass es in Wahrheit nicht um Geld ging. Jemand hatte es auf mich abgesehen und wollte mich ins
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