Leopard
und neuem Leder. Die Tür schlug hinter ihr zu. Er lächelte. Die Zähne waren groß und weiß und die Stimme sanft und munter:
»Hallo, Kaja.«
Tony Leike trug einen gelbgrauen Tarnanzug. Seine Hand hielt ein rotes Handy, Harrys Handy.
»Sie sollten doch direkt hineingehen. Was hat Sie umgestimmt?« Sie zuckte mit den Schultern.
»Faszinierend«, sagte er und neigte den Kopf zur Seite.
»Was?«
»Sie scheinen überhaupt keine Angst zu haben.«
»Warum sollte ich?«
»Weil Sie bald sterben werden. Haben Sie das immer noch nicht begriffen?«
Kaja spürte, wie es ihr den Hals zuschnürte. Doch auch wenn ihr eine innere Stimme zuraunte, dass das alles nur leere Drohungen waren, dass sie Polizistin war und er niemals dieses Risiko eingehen würde, gelang es dieser Stimme nicht, die andere zu übertönen, die ihr sagte, dass Tony Leike genau wusste, wie er die Situation einzuschätzen hatte. Harry und sie waren nichts weiter als zwei Kamikaze-Idioten, weitab der Heimat, ohne Handlungsbefugnis, Back-up oder Rückzugsmöglichkeiten. Chancenlos.
Leike drückte auf einen Knopf und ließ das Seitenfenster nach unten gleiten.
»Go finish him and bring him up there«,
sagte er zu den beiden Männern und fuhr das Fenster wieder hoch.
»Es hätte dem Ganzen einen Hauch Klasse gegeben, wenn Sie diese Tür geöffnet hätten«, sagte Leike. »Ich finde wirklich, Harry hätte einen poetischen Tod verdient. Aber so wie die Sache aussieht, sollten wir lieber auf einen poetischen Abschied setzen.« Er beugte sich vor und blickte in den Himmel. »Ein schönes Rot, nicht wahr?«
Sie sah es ihm an. Hörte es. Und die Stimme in ihrem Innern – die, die die Wahrheit sagte – ließ keinen Zweifel offen. Sie sollte wirklich sterben.
KAPITEL 86
Kaliber
K inzonzi zeigte auf van Boorsts Steinhaus und befahl Oudry, den Range Rover dicht vor die Haustür zu fahren. Er sah das Licht hinter den Gardinen und erinnerte sich daran, dass Mister Tony sie aufgefordert hatte, es brennen zu lassen, als sie gegangen waren. Damit der weiße Mann sah, was ihn erwartete. Kinzonzi stieg aus und wartete darauf, dass Oudry den Zündschlüssel abzog und zu ihm kam. Der Befehl war einfach: liquidieren und mitnehmen. Der Auftrag weckte keine Gefühle in ihm. Keine Furcht, keine Freude, nicht einmal Anspannung. Es war einfach ein Job.
Kinzonzi war neunzehn Jahre alt. Er kämpfte, seit er elf war. Seit damals, als die PDLA, die People's Democratic Liberation Army, sein Dorf gestürmt hatte. Sie hatten seinen Bruder mit dem Schaft einer Kalaschnikow erschlagen und seine beiden Schwestern vergewaltigt, während sein Vater zusehen musste. Anschließend hatte der Kommandant gesagt, dass sie auch Kinzonzi und die älteste Schwester töten würden, wenn sein Vater nicht vor allen Soldaten mit der jüngsten Tochter schlief. Noch bevor der Kommandant den Satz vollendet hatte, war sein Vater in ihre Macheten gestürmt. Alle hatten laut gelacht.
Als sie später aus dem Dorf aufbrachen, hatte Kinzonzi zum ersten Mal seit langem richtig zu essen bekommen, danach war ihm ein Beret ausgehändigt worden, das der Kommandant als Kinzonzis Uniform bezeichnete. Zwei Monate später hatte er eine Kalaschnikow und seinen ersten Menschen erschossen. Eine Mutter in einem Dorf, die sich geweigert hatte, der People's Democratic Liberation Army ihre Wolldecken zu überlassen. Er war gerade zwölf geworden, als er in der Reihe der Soldaten stand, die unweit seines Heimatdorfes ein junges Mädchen vergewaltigten. Als er an der Reihe war, schoss ihm durch den Kopf, dass das Mädchen seine Schwester sein könnte, das Alter stimmte. Und als er ihr ins Gesicht geblickt hatte, war ihm bewusst geworden, dass er keine Erinnerung mehr an ihre Gesichter hatte. Mutter, Vater und alle Geschwister waren weg, ausgelöscht. Vier Monate später hackte er gemeinsam mit zwei Kameraden dem Kommandanten die Arme ab und sah zu, wie er verblutete. Dies geschah nicht aus Rache oder Hass, sondern weil die CFF, die Congo Freedom Front, ihnen einen besseren Lohn versprochen hatte. Fünf Jahre lang lebte er daraufhin von dem, was die Überfälle der CFF auf die Dörfer im Norden des Kivu-Sees einbrachten. Sie mussten die ganze Zeit vor den anderen Guerillagruppen auf der Hut sein, und die Dörfer, in die sie kamen, waren mit der Zeit oft von den anderen schon so komplett ausgeplündert, dass dort nichts mehr zu holen war. Zu guter Letzt hatte die CFF mit dem Regierungsheer verhandelt. Die Rebellen waren
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