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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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musst.«
    »Schon wieder falsch«, sagte sie. »Er sagt gar nichts.«
    Harry nickte. Er wollte weiterfragen, als er merkte, dass er es gar nicht wissen wollte.
KAPITEL 35
    Tauchgang
    N ebel trieb über die schwarze, blanke Oberfläche des Lyseren. Am Ufer standen die Bäume wie düstere, stumme Schaulustige mit hängenden Schultern. Kommandorufe, Funksignale und das Plätschern des Wassers zerschnitten die Stille, als die Taucher sich rückwärts aus dem Gummiboot fallen ließen. Sie hatten am Ufer begonnen, in unmittelbarer Nähe der Seilerei. Die Taucheinsatzführer hatten ihre Taucher in Fächerformation ausgeschickt und standen nun an Land und zeichneten auf der in Planquadrate eingeteilten Karte ein, in welchen Bereichen des festgelegten Suchgebietes ihre Leute gerade unterwegs waren. Mit einem Ruck an den Leinen signalisierten sie, ob der Tauchgang unterbrochen werden sollte oder die Taucher zurückkommen sollten. Die professionellen Rettungstaucher, wie Jarle Andreassen, hatten überdies Leitungen in den Leinen, die zu ihren Vollmasken führten, so dass sie sich mit den Taucheinsatzführern verständigen konnten.
    Es war gerade mal sechs Monate her, dass Jarle seinen Rettungstaucherschein gemacht hatte, und sein Puls schnellte bei diesen Tauchgängen noch immer in die Höhe. Dabei bedeutete ein hoher Puls höheren Sauerstoffverbrauch. Die erfahreneren Taucher von der Feuerwehrzentrale in Briskeby nannten ihn »Korken«, weil er so oft an die Oberfläche musste, um die Sauerstoffflaschen zu wechseln.
    Jarle wusste, dass es oben noch hell war, aber unten am Grund herrschte allerschwärzeste Nacht. Er versuchte, die vorgeschriebenen anderthalb Meter über dem Boden zu schwimmen, wirbelte aber trotzdem massenweise Schlamm auf, der das Licht seiner Lampe reflektierte und ihn teilweise regelrecht blendete. Obgleich ihm klar war, dass nur wenige Meter entfernt andere Taucher unterwegs waren, fühlte er sich einsam. Einsam und kalt bis ins Mark. Dabei konnte dieser Tauchgang noch Stunden dauern. Er wusste, dass er weniger Sauerstoff als die anderen Taucher hatte, und das ärgerte ihn. Dass er wieder einmal der erste der Rettungstaucher der Osloer Feuerwehrzentrale sein würde, der nach oben musste, um seine Flasche auszutauschen, war okay, aber er fürchtete, heute auch noch von den freiwilligen Helfern aus den örtlichen Tauchervereinen übertroffen zu werden. Er richtete den Blick wieder nach vorn und hielt die Luft an. Nicht als bewusste Handlung, um den Verbrauch zu reduzieren, sondern weil mitten im Lichtkegel, in dem wogenden Stängelwald, der in Ufernähe aus dem Schlammboden wuchs, ein Wesen schwebte. Ein Wesen, das nicht hierhergehörte, hier nicht leben konnte. Ein Fremdkörper. Der Anblick war faszinierend und erschreckend zugleich. Das Licht seiner Lampe wurde von den schwarzen Augen reflektiert, als wäre das Wesen noch am Leben.
    »Alles in Ordnung, Jarle?«
    Die Stimme des Taucheinsatzführers drang zu ihm. Es war eine seiner Aufgaben, den Atem der Taucher zu kontrollieren. Dabei ging es nicht nur um die Frage, ob sie atmeten, sondern auch darum, ob ihr Atem sich veränderte, nervös klang. Oder übertrieben ruhig.
    Bereits in zwanzig Metern Tiefe lagerten sich im Gehirn so große Mengen Stickstoff ab, dass der Tiefenrausch einsetzen konnte, eine Stickstoffvergiftung, die Benommenheit mit sich bringen konnte, so dass man plötzlich nicht einmal mehr in der Lage war, die einfachsten Aufgaben auszuführen. In noch größerer Tiefe konnte dieser Rausch zu Schwindel, Tunnelblick oder unvernünftigen Handlungsweisen führen. Jarle war nicht sicher, ob es nur Geschichten waren, aber er hatte von Tauchern gehört, die sich in fünfzig Metern Tiefe einfach die Maske abgenommen hatten. Bis jetzt hatte er diesen Rausch nur wie die angenehme Gelassenheit nach einem Glas Rotwein empfunden, das er Samstagabends gern mit seiner Freundin zusammen genoss.
    »Alles in Ordnung«, sagte Jarle Andreassen und begann wieder zu atmen. Er saugte das Gemisch aus Stickstoff und Sauerstoff ein und hörte das Blubbern der Blasentrauben, die an seinen Ohren vorbei Richtung Wasseroberfläche stiegen.
    Es war ein großer Rothirsch. Er hing kopfüber im Wasser. Fast sah es aus, als hätte er sich bei einem Kopfsprung mit seinem gewaltigen Geweih verfangen. Wahrscheinlich war er beim Äsen am Ufer abgerutscht. Oder etwas oder jemand hatte ihn ins Wasser gejagt. Was sonst hatte er hier zu suchen? Vermutlich hatte er sich im Schilf und

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