Leopard
du mitmachst? Selbst wenn ich mit Leike recht haben sollte, bedeutet das noch lange nicht, dass seine Festnahme und die Aufklärung des Falls ausreichen, um die Machtbalance zugunsten Hagens anzutippen. Und dann stehst du im Regen.«
»Und was ist mit dir?« Sie beugte sich über den Tisch. Ihre kleinen Piranhazähne glitzerten. »Wieso gehst du dieses Risiko ein?«
»Ich bin ein abgehalfterter Polizist, der nicht viel zu verlieren hat, Kaja. Für mich geht es um alles oder nichts. Bei den Drogen und der Sitte kann ich nicht arbeiten, und ein Angebot vom Kriminalamt werde ich nicht bekommen. Was dich betrifft, ist es aber wahrscheinlich eine schlechte Entscheidung.«
»Das sind meine Entscheidungen in der Regel«, sagte sie ernst.
»Gut«, sagte Harry und stand auf. »Dann sehe ich mal zu, dass ich den Polizeijuristen zu fassen kriege. Halt dich bereit.«
»Ich bin hier, Harry.«
Als Harry sich umdrehte, befand er sich Auge in Auge mit einem Mann, der offenbar schon eine ganze Weile in der Tür gestanden hatte.
»’tschuldigung«, sagte der Mann mit einem breiten Grinsen. »Ich wollte nur schauen, ob ich die Dame vielleicht kurz entführen kann.«
Er nickte Kaja mit lachenden Augen zu.
»Bitte schön«, sagte Harry, bedachte den Mann mit der verkürzten Version eines Lächelns und marschierte über den Flur davon.
»Aslak Krongli«, sagte Kaja. »Was verschlägt einen Burschen vom Land in die große, böse Stadt?«
»Das Übliche, nehme ich an«, antwortete der Polizist aus Ustaoset.
»Abenteuer, Neonlicht und das Bad in der Menge?«
Aslak lächelte. »Die Arbeit. Und eine Frau. Darf ich Sie auf eine Tasse Kaffee einladen?«
»Im Augenblick nicht«, sagte Kaja. »Es tut sich grad was, da kann ich die Festung nicht verlassen. Aber ich spendiere gern einen Kaffee in unserer Kantine. Die ist in der oberen Etage. Wenn Sie schon mal vorgehen, erledige ich noch schnell einen Anruf.«
Er streckte den Daumen in die Luft und ging.
Kaja schloss die Augen und holte tief und zitternd Luft.
Die Büroräume der Staatsanwaltschaft befanden sich in der roten Zone in der sechsten Etage. Die Juristin, eine junge Frau, die in Harrys Abwesenheit eingestellt worden sein musste, sah ihn über den Rand ihrer Brille hinweg an, als er eintrat.
»Ich brauche einen Haftbefehl«, sagte Harry.
»Und Sie sind?«
»Harry Hole, Kriminalhauptkommissar.«
Er reichte ihr seinen Ausweis, obwohl er ihrer hektischen Reaktion entnehmen konnte, dass sie bereits von ihm gehört hatte. Er konnte sich lebhaft vorstellen, was. Sie notierte seinen Namen auf dem Plan für Festnahmen und Durchsuchungen und starrte übertrieben häufig auf den Ausweis, als wäre die Schreibweise seines Namens ungeheuer kompliziert.
»Zwei Kreuze?«, fragte sie.
»Bitte«, sagte Harry.
Sie kreuzte sowohl Festnahme als auch Durchsuchung an und lehnte sich übertrieben lässig zurück, Harry empfand das als ein Nachäffen der von routinierteren Polizeianwälten gerne eingenommenen Sie-haben-dreißig-Sekunden-um-mich-zu-überzeugen-Haltung.
Aus Erfahrung wusste er, dass das erste Argument für die Entscheidung der Polizeijuristen das wichtigste war. Also begann er mit dem Anruf Tony Leikes bei Elias Skog zwei Tage vor dem Mord. Er untermauerte das Argument damit, dass Leike in seinem Gespräch mit Harry behauptet hatte, Skog nicht zu kennen und folglich nicht in der Håvasshütte mit ihm gesprochen zu haben. Das zweite Argument war die Verurteilung Leikes wegen schwerer Körperverletzung, die Leike selbst als Mordversuch bezeichnet hatte. Harry spürte bereits jetzt, dass der Haftbefehl im Kasten war. Dennoch zuckerte er das Ganze noch mit den Treffern Kongo und Lyseren, ohne allzu sehr ins Detail zu gehen.
Sie nahm die Brille ab.
»Ich bin grundsätzlich positiv eingestellt«, sagte sie. »Brauche aber noch ein wenig Bedenkzeit.«
Harry fluchte innerlich. Ein erfahrener Staatsanwalt hätte ihm den Schein sofort ausgestellt, sie aber war wohl noch so neu im Job, dass sie sich erst bei einem ihrer Kollegen absichern wollte. An ihrer Tür hätte das Schild »Auszubildende« hängen sollen, dann hätte er gleich zu einem der anderen gehen können. Jetzt war es zu spät.
»Es eilt«, sagte Harry.
»Wieso?«
Mit ihrer Frage hatte sie einen wunden Punkt getroffen. Harry wedelte vage mit der Hand durch die Luft, ohne etwas zu erwidern.
»Ich werde meine Entscheidung gleich nach dem Mittagessen fällen …« Sie schaute auffällig auf ihren Plan. »…
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