Leopard
Tür?«, fragte er.
»Immer. Und du?«
»Geschlossen. Immer. Wie ich sehe, hast du den Besucherstuhl rausgeworfen. Das habe ich auch immer gemacht. Die Leute bleiben sonst nur kleben.«
Sie lachte. »Was Spannendes zu tun bekommen?«
»Sozusagen«, sagte er, trat ein und lehnte sich gegen die Wand.
Sie legte beide Hände gegen die Tischkante und stieß sich ab, worauf sie und der Stuhl rückwärts auf den Aktenschrank zurollten. Sie zog eine Schublade auf, nahm einen Brief heraus und legte ihn vor Harry. »Dachte, das könnte dich interessieren.«
»Was ist das?«
»Vom Schneemann. Sein Anwalt hat beantragt, dass er aus gesundheitlichen Gründen von Ullersmo in ein gewöhnliches Krankenhaus verlegt wird.«
Er setzte sich auf die äußere Tischkante und las. »Hm. Sklerodermie. Schnell voranschreitend. Ich hoffe, nicht zu schnell. Das hätte er nicht verdient.«
Er hob den Kopf und sah, dass sie erschüttert war.
»Meine Großtante ist an Sklerodermie gestorben«, sagte sie. »Eine grausame Krankheit.«
»Und ein grausamer Mann«, sagte Harry. »Ich bin übrigens mit denen einer Meinung, die sagen, dass die Fähigkeit zur Ver gebung etwas über die Qualität eines Menschen aussagt. Ich bin dritte Wahl.«
»Ich wollte dich nicht kritisieren.«
»In meinem nächsten Leben werde ich mich bessern, versprochen«, sagte Harry, neigte den Kopf vor und massierte sich den Nacken. »Wenn die Hindus recht haben, werde ich wahrscheinlich als Borkenkäfer wiedergeboren. Aber ich will ein freundlicher Borkenkäfer sein.«
Er schaute hoch und stellte fest, dass sein »verdammt jungenhafter Charme«, wie Rakel das immer genannt hatte, einigermaßen wirkte. »Hör mal, Kaja, ich wollte dir ein Angebot machen.«
»Aha?«
»Ja.« Harry fiel die Feierlichkeit in seiner Stimme auf. Die Stimme eines rücksichtslosen Mannes ohne jede Fähigkeit zur Vergebung, der sich um nichts anderes kümmerte als um seine eigenen Ziele.
Wie schon häufig mit Erfolg praktiziert, begann er seine Argumentation von hinten. »Ein Angebot, das ich an deiner Stelle wohlweislich ablehnen würde. Ich habe nämlich die Angewohnheit, das Leben der Menschen zu zerstören, auf die ich mich einlasse.«
Zu seinem Erstaunen wurde sie knallrot.
»Aber es kommt mir nicht richtig vor, das hier ohne dich durchzuziehen«, sprach er weiter. »Nicht, wo wir so nah dran sind.«
»Nah … an was?« Die Röte war verschwunden.
»An der Verhaftung des Schuldigen. Ich bin auf dem Weg zum Polizeijuristen, um einen Haftbefehl zu besorgen.«
»Oh … klar.«
»Klar?«
»Ich meine, wer soll verhaftet werden?« Sie zog den Stuhl wieder an den Schreibtisch. »Und wofür?«
»Unser Mörder, Kaja.«
»Was?« Er sah, wie ihre Pupillen sich weiteten, langsam, pulsierend. Und wusste, was in ihr vorging. Der Blutrausch vor dem Erlegen der Beute. Die Festnahme. Das, was in ihrem CV stehen würde. Wie konnte sie da widerstehen?
Harry nickte. »Er heißt Tony Leike.«
Ihre Wangen nahmen wieder Farbe an. »Klingt bekannt.«
»Er will demnächst heiraten, die Tochter von …«
»Ach ja, der Verlobte von Galtungs Tochter.« Sie legte die Stirn in Falten. »Heißt das, du hast Beweise?«
»Indizien. Und Übereinstimmungen.«
Ihre Pupillen zogen sich ein wenig zusammen.
»Ich bin sicher, das ist unser Mann, Kaja.«
»Überzeuge mich«, sagte sie, und er hörte den Hunger in ihrer Stimme. Die Lust, alles roh zu verschlingen, den letzten Anstoß zu bekommen, die bisher verrückteste Entscheidung ihres Lebens zu treffen. Und er hatte nicht die Absicht, sie vor sich selbst zu schützen. Weil er sie brauchte. Sie war perfekt für die Medien: jung, intelligent, eine Frau, ambitioniert. Ein sympathisches Gesicht und eine einwandfreie Personalakte . Kurz und gut, sie hatte alles, was er nicht hatte. Eine Jeanne d’Arc, die das Justizministerium nicht auf dem Scheiterhaufen verbrennen würde.
Harry holte tief Luft und gab ihr das Gespräch mit Tony Leike wieder. Wortgetreu und bis ins kleinste Detail. Seine Kollegen hatten diese Fähigkeit immer mit Skepsis betrachtet.
»Håvasshütte, Kongo und Lyseren«, sagte Kaja, als er fertig war. »Er ist überall gewesen.«
»Ja. Und er wurde wegen schwerer Körperverletzung verurteilt und gibt zu, dass er den anderen eigentlich umbringen wollte.«
Ihre Pupillen waren schwarze Sonnen.
»Wir haben ihn«, sagte sie leise.
»Bedeutet das wir, was ich denke?«
»Ja.«
Harry seufzte. »Du bist dir über das Risiko im Klaren, wenn
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