Leopard
Wusste, dass er dort weitermachen konnte, wo er aufgehört hatte, als er zuletzt in dieser Wohnung gewesen war. Verdammt, er war damals vor einem halben Jahr schon voll gewesen, als er sich in das Taxi zum Flughafen gesetzt hatte. Kein Wunder, dass er es nicht bis Manila geschafft hatte.
Er zog in Erwägung, in die Küche zu gehen und den Inhalt der Flasche ins Waschbecken zu kippen.
Harry stöhnte.
Blödsinn, er fragte sich nicht wirklich, an wen sie ihn erinnerte. Das wusste er ganz genau. Sie erinnerte ihn an Rakel. Alle Frauen erinnerten ihn an Rakel.
KAPITEL 7
Galgen
A ber ich habe Angst, Rasmus«, sagte Marit Olsen. »Wirklich!«
»Ich weiß«, erwiderte Rasmus Olsen mit der gedämpften, angenehmen Stimme, die seine Frau beruhigend durch fünfundzwanzig hektische Jahre mit politischen Wahlen, Führerscheinprüfungen, Wutausbrüchen und anderen Panikattacken begleitet hatte.
»Das ist doch ganz natürlich«, fügte er hinzu und legte seinen Arm um sie. »Du arbeitest hart und musst an tausend Dinge denken. Deinem Kopf fehlt die Kraft, diese Art von Gedanken abzublocken.«
»Diese Art von Gedanken?«, wiederholte sie, drehte sich auf dem Sofa um und sah ihn an. Sie hatte längst das Interesse an der DVD verloren, die sie sich ansahen: Tatsächlich … Liebe . »Diese Art von zwanghaften Gedanken, meinst du wohl.«
»Es kommt nicht darauf an, was ich meine«, sagte er, während seine Fingerkuppen ihren Weg suchten. »Es kommt darauf an …«
»… was du denkst«, äffte sie ihn nach. »Mein Gott, Rasmus, du solltest dir nicht immer diese Psychologiesoaps angucken.«
Er lachte samtweich. »Ich will damit nur sagen, dass du als Stortingsabgeordnete natürlich um Polizeischutz bitten kannst, wenn du dich bedroht fühlst. Aber ist es wirklich das, was du willst?«
»Hm«, schnurrte sie, als seine Finger begannen, sie dort zu massieren, wo sie es am meisten liebte. »Und was bedeutet was du willst ?«
»Denk doch mal nach. Was, glaubst du, wird geschehen?«
Marit Olsen dachte nach. Schloss die Augen und spürte, wie seine Finger Harmonie und Ruhe in ihren Körper massierten. Sie hatte Rasmus in der Zeit kennengelernt, als sie in Alta im Arbeitsamt gearbeitet hatte. Sie war zur Betriebsrätin gewählt worden, und die Gewerkschaft hatte sie zu einer Schulung ins Sørmarka Kurs- und Konferenzcenter geschickt. Dort hatte sich am ersten Abend ein dünner Mann mit wachen blauen Augen und ausgeprägten Geheimratsecken zu ihr gesellt. Die Art, wie er sprach, hatte sie an die eifernden Jünger der christlichen Jugendbewegungen in Alta erinnert. Nur dass er über Politik redete. Er arbeitete im Fraktionssekretariat der Arbeiterpartei, wo er den Abgeordneten bei praktischen Büroaufgaben, Pressemitteilungen und Reisevorbereitungen half und hin und wieder sogar eine Rede für sie schrieb.
Rasmus hatte ihr ein Bier ausgegeben und sie zum Tanzen aufgefordert, und nach vier immer ruhiger werdenden Evergreens mit immer engerem Körperkontakt hatte er sie gefragt, ob sie zu ihm kommen wollte. Nicht auf sein Zimmer, sondern in seine Partei.
Wieder zu Hause in Alta, begann sie, zu Parteiveranstaltungen zu gehen und abends stundenlang mit Rasmus zu telefonieren. Sie erzählten sich, was sie an diesem Tag gedacht und getan hatten. Marit hatte natürlich nie laut ausgesprochen, dass sie diese Zeit manchmal für die beste hielt, die sie gemeinsam erlebt hatten. Zweitausend Kilometer voneinander getrennt. Dann hatte das Nominierungskomitee angerufen, sie auf eine Liste gesetzt und schwups war sie im Stadtrat von Alta gewesen. Zwei Jahre später war sie 2. Vorsitzende der Arbeiterpartei von Alta geworden und im Jahr danach Mitglied des Leitungsgremiums des regionalen Parteisekretariats. Dann hatte wieder das Telefon geklingelt, und dieses Mal war es das Nominierungskomitee für das Storting gewesen.
Dort hatte sie nun ein winziges Büro, einen Ehemann, der ihr bei ihren Reden half, und gute Chancen, die Karriere leiter nach oben zu klettern. So denn alles nach Plan verlief. Und sie keine Fehler machte.
»Sie werden mich unter Schutz stellen«, sagte sie. »Und die Presse wird das spitzkriegen und sich fragen, warum eine Abgeordnete, von der noch nie jemand gehört hat, einen Bodyguard auf Kosten der Steuerzahler beansprucht. Und wenn sie den Grund herausfinden und darauf stoßen, dass sie sich bei ihrer abendlichen Joggingrunde im Park verfolgt fühlt, werden sie schreiben, dass dann jede zweite Frau in Oslo einen
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