Leopard
Fensterbank der Poststelle des Einkaufszentrums zu sitzen und darauf zu warten, dass mich das Leben von Hasch über Leim und Heroin ins Grab brachte. Wie es bei vier Klassenkameraden der Fall war.«
Harry bemerkte, dass Bellman mehr und mehr im typischen Mangleruder Tonfall sprach.
»Ich hab das alles gehasst«, sagte Bellman. »Mein erster Schritt in Richtung Polizeischule war, mit der Dynamitstange hinter die Mangleruder Kirche zu laufen, wo die Haschclique ihren Erdbong hatte.«
»Erdbong?«
»Sie hatten ein Loch in den Boden gegraben und eine Bierflasche mit ausgebrochenem Boden kopfüber hineingesteckt. In der Flasche war ein kleines Gitter, auf dem der Haschklumpen glühte und vor sich hin qualmte. Unter der Erde, etwa anderthalb Meter von der Flasche bis an die Oberfläche, hatten sie Schläuche verlegt und lagen dann immer im Gras um den Erdbong herum und saugten an ihren Plastikschläuchen. Ich weiß nicht, warum …«
»Um den Rauch abzukühlen.« Harry amüsierte sich. »So kriegt man mit weniger Stoff den besseren Rausch. Nicht schlecht für ein paar simple Haschköpfe. Ich habe Manglerud ganz offensichtlich unterschätzt.«
»Wie dem auch sei, einen Plastikschlauch habe ich herausgezogen und stattdessen die Stange Dynamit vergraben.«
»Sie haben den Bong gesprengt?«
Bellman nickte, und Harry lachte.
»Es hat eine halbe Minute lang Dreck geregnet«, sagte Bellman und grinste.
Es wurde still. Der Wind pfiff leise und heiser.
»Eigentlich wollte ich mich bei Ihnen bedanken«, begann Bellman und blickte in seinen Pappbecher. »Dass Sie Kaja rechtzeitig da rausgeholt haben.«
Harry zuckte mit den Schultern. Kaja. Bellman wusste, dass Harry über sie beide Bescheid wusste. Woher? Bedeutete das auch, dass Bellman über ihn und Kaja informiert war?
»Ich hatte da unten nichts Besseres zu tun«, sagte Harry.
»Doch, das hatten Sie. Ich habe mir Jussis Leiche angesehen, bevor sie abtransportiert worden ist.«
Harry antwortete nicht, sondern blinzelte in die Schneeflocken, die inzwischen dichter fielen.
»Er hatte eine Wunde am Hals. Und mehrere in beiden Handflächen. Wie von der Spitze eines Skistocks. Sie haben ihn zuerst gefunden, nicht wahr?«
»Mag sein«, sagte Harry.
»Die Wunde am Hals hat geblutet. Sein Herz muss noch geschlagen haben, als er sich diese Wunde zugezogen hat. Ziemlich kräftig sogar. Es sollte eigentlich möglich sein, einen so quicklebendigen Mann rechtzeitig auszugraben. Sie haben Ihre Priorität aber bei Kaja gesetzt, nicht wahr?«
»Tja«, sagte Harry. »Ich glaube, Kolkka hatte recht.« Er kippte den Rest seines Kaffees in den Schnee. »Man muss sich für eine Seite entscheiden.«
Um drei Uhr fanden sie die Schneescooterspur etwa einen Kilometer von der Abrisskante der Lawine entfernt, zwischen zwei riesigen, zahnförmigen Felsblöcken, die einen gewissen Windschutz boten.
»Sieht so aus, als hätte er hier geparkt«, sagte Harry und deutete auf den Rand der Spur, an dem die Abdrücke der Gummiränder zu erkennen waren. »Der Scooter hatte Zeit, in den Schnee einzusinken.« Er fuhr mit dem Finger über einen Streifen in der Mitte der linken Kufenspur, während Bellman den lockeren Neuschnee herausfegte.
»Stimmt«, sagte er und zeigte nach vorn. »Hier hat er gedreht und ist dann in Richtung Nordwesten weggefahren.«
»Wir nähern uns den Spalten, und es schneit stärker«, sagte Harry, blickte zum Himmel hoch und holte sein Telefon heraus. »Wir müssen im Hotel anrufen und einen Guide mit Schneescooter anfordern, der sich hier auskennt. Verdammt!«
»Was denn?«
»Kein Netz. Wir müssen zurück zum Hotel.«
Harry sah auf das Display. Noch immer wurde die Nachricht der ihm vage bekannten Nummer angezeigt, die nur aus seltsamen Geräuschen auf seiner Mailbox bestand. Die letzten drei Ziffern, verdammt, woher kannte er die? Und plötzlich machte es Klick. Ermittlergedächtnis. Die Telefonnummer lag in der Mappe der Personen, die im Laufe der Ermittlungen als verdächtig angesehen worden waren. Sie stand auf einer Visitenkarte.
Mit der Aufschrift Tony C. Leike, Unternehmer. Harry hob langsam den Blick und sah Bellman an.
»Leike lebt.«
»Was?«
»Auf jeden Fall sein Telefon. Er hat versucht, mich anzurufen, als wir in der Håvasshütte waren.«
Bellman erwiderte Harrys Blick, ohne zu blinzeln. Schneeflocken legten sich auf seine langen Wimpern, und die Pigment flecken auf seiner Haut schienen aufzuleuchten. Seine Stimme war leise, fast flüsternd:
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