Leopard
einschlafen … Even.«
Harry hatte richtig vermutet. Kolkka war mit Schulterhalfter ins Bett gegangen. Er öffnete den Knopf, der die Pistole festhielt, schob die Finger um den Schaft und zog die Waffe aus dem Schnee. Fuhr mit der anderen Hand über den Lauf. Kein Korn, es war die Weiler-Pistole. Dann stand er etwas zu schnell auf, so dass ihm schwindelig wurde. Er dachte noch daran, vorsichtig zu sein, dann wurde ihm schwarz vor Augen.
Bellman stand am Rand des fast vier Meter tiefen Lochs und starrte hinein, als er das näher kommende Knattern des Rettungshubschraubers hörte. Es klang wie ein Teppichklopfer in Superspeed. Seine Leute transportierten den Schnee in ihren Rucksäcken an zusammengebundenen Gürteln nach oben.
»Ein Fenster!«, hörte er den Mann ganz unten rufen.
»Schlag es ein«, rief Milano zurück.
Glas klirrte.
»O mein Gott, verdammt!«, hörte er. Und wusste, dass das nichts Gutes zu bedeuten hatte.
»Gebt mir mal ’nen Stab …!«
Bellman wartete schweigend. Dann war es so weit. »Schnee. Scheißschnee, bis oben unter die Decke.«
Bellman hörte Hundegebell. Und fragte sich, wie viele Stunden es dauern würde, den Schnee aus der Hütte zu räumen. Korrektur: Tage.
Harry erwachte von heftigen Schmerzen im Kiefer und spürte etwas Warmes über seine Stirn in die Augen rinnen. Offenbar hatte er sich bei dem Sturz den Kopf gestoßen und war mit dem vorstehenden Kieferknochen aufgeschlagen. Das hatte ihn aus der Ohnmacht gerissen. Seltsam war nur, dass er noch immer stand und die Pistole in der Hand hielt. Er versuchte, tief durchzuatmen, doch da war keine Luft mehr. Er wusste nicht, ob sie noch für einen letzten Versuch reichte, aber was sollte er sonst tun? Es war ganz einfach, ihm blieb keine Wahl. Er steckte die Waffe in die Hosentasche und kletterte keuchend im Schornstein nach oben. Als er das Gitter erreichte, stemmte er die Beine zur Seite und tastete suchend nach dem Ende des Metallstabes, der noch immer im Schnee steckte. Der Skistock lief leicht konisch zu, das dickere Ende zeigte nach unten, dort hinein steckte Harry den Lauf der Pistole. Gut zwei Drittel verschwanden im Stab, bis die Waffe stecken blieb. Nun befand sich der Lauf parallel zum Stab, ein anderthalb Meter langer Schalldämpfer. Eine Kugel würde sicher nicht durch viel mehr als weitere anderthalb Meter im Schnee dringen, aber was, wenn nur ein kleines Stück bis ins Freie fehlte?
Er stemmte sich von unten gegen die Pistole, damit sie durch den Rückstoß nicht verrutschte und die Kugel zur Seite abwich. Dann zog er ab. Und noch einmal, und noch einmal. Es zerriss ihm fast das Trommelfell in dem hermetisch abgeriegelten Raum. Nach vier Schüssen hielt er inne, legte die Lippen an die Öffnung des Stabes und saugte.
Luft … Luft.
Seine Überraschung war so groß, dass er fast gefallen wäre. Dann atmete er wieder durch den Stab, vorsichtig, damit der Tunnel, den die Kugeln in den Schnee gegraben haben mussten, nicht einbrach. Der eine oder andere Schneekristall rieselte durch den Stab und legte sich auf seine Zunge. Es schmeckte wie runder, milder Whiskey mit Eis.
KAPITEL 60
Wichtel und Zwerge
R oger Gjendem lief die Karl Johans gate hoch, während die Geschäfte gerade öffneten. Auf dem Egertorget blickte er auf, die rote Freia-Uhr zeigte drei Minuten vor zehn. Er legte einen Gang zu.
Bent Nordbø, pensionierter und in vielerlei Hinsicht legendärer Chefredakteur, gegenwärtig Mitglied des Vorstands und Tempelwächter, hatte ihn zu einer Eilsitzung einberufen.
Gjendem bog nach rechts in die Akersgata ab, in der sich die großen Zeitungshäuser gedrängt hatten, als die Papierausgabe noch der unbestrittene Gipfel des Journalismusberges war. Dann ging er nach links in Richtung Tinghuset, um gleich darauf wieder nach rechts in die Apotekergata abzubiegen, wo er ganz außer Atem das Stopp Pressen! betrat. Irgendwie schien sich diese Kneipe nicht entscheiden zu können, ob sie eher eine Sportbar oder ein traditioneller englischer Pub sein wollte. Vielleicht war das Absicht, da sie sich zum Ziel gesetzt hatte, dass sich hier alle Arten von Journalisten wohl fühlen sollten. Die Pressefotos an den Wänden zeigten, was die Nation in den letzten zwanzig Jahren beschäftigt, erschüttert, erfreut und empört hatte. Vorwiegend Sportereignisse, Prominente und Naturkatastrophen. Sowie ein paar Politiker, die man aber genauso gut den letzten beiden Kategorien zuordnen konnte.
Der Pub lag in
Weitere Kostenlose Bücher