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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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gehört, bevor es losging?«
    »Das kann das Schneebrett gewesen sein, das oben abgebrochen und auf den Hang gefallen ist.«
    »Hört sich das Ihrer Meinung nach so an?«
    »Ich weiß nicht, wie sich so was anhört. Auf jeden Fall hat dieser Laut die Lawine ausgelöst.«
    Bellman schüttelte den Kopf. »Sogar erfahrene Berggänger glauben an den Mythos, dass Schallwellen Lawinen auslösen können. Ich war mit einem Lawinenexperten in den Alpen klettern, und der hat mir erzählt, dass die Leute da unten tatsächlich noch immer denken, all die Lawinen im Zweiten Weltkrieg wären durch die Kanonenschüsse ausgelöst worden. In Wahrheit werden Lawinen aber nur ausgelöst, wenn der Schnee direkt von einer Sprengladung getroffen wird.«
    »Hm, und das heißt?«
    »Wissen Sie, was das ist?« Bellman hielt ein kleines Stück blankes Metall zwischen Daumen und Zeigefinger.
    »Nein«, sagte Harry und signalisierte dem Kellner, der das Frühstücksbuffet abräumte, dass er eine Tasse Kaffee wollte.
    »Wichtel und Zwerge graben aus die Berge« , summte Bellman.
    »Da muss ich passen.«
    »Sie enttäuschen mich, Harry. Aber okay, vielleicht habe ich auch einen kleinen Vorsprung. Ich bin in den Siebzigern in Manglerud aufgewachsen, in einer Trabantenstadt, die in vollem Wachstum begriffen war. Ringsherum wurde Bauland erschlossen. Der Soundtrack meiner Kindheit war das Geräusch explodierender Dynamitladungen. Wenn nachmittags die Arbeit beendet war, bin ich im Sprenggebiet rumgelaufen und habe Kabelreste, rote Plastikkappen und das Papier der Dynamitstan gen gesammelt. Kaja hat mir erzählt, dass die hier oben eine ganz spezielle Art zu fischen haben. Dynamit soll hier verbreiteter sein als Selbstgebrannter. Sagen Sie mir nicht, dass Ihnen dieser Gedanke nicht auch schon gekommen ist.«
    »Okay«, sagte Harry. »Das ist also ein Stück von einer Sprengkapsel. Wann und wo haben Sie das gefunden?«
    »Nachdem ihr gestern abtransportiert worden seid. Ich habe mit einigen Männern das Gelände inspiziert, in dem die Lawine sich gelöst hat.«
    »Spuren?« Harry nahm den Kaffee dankend entgegen, den der Kellner ihm brachte.
    »Nein. Das ist da oben derart exponiert, dass der Wind alle eventuellen Skispuren verwischt hat. Aber Kaja meinte, dass sie möglicherweise einen Schneescooter gehört hat.«
    »Vielleicht. Es verging aber eine ganze Weile zwischen diesem Geräusch und dem Abgang der Lawine. Möglicherweise hat er den Schneescooter etwas weiter weg abgestellt, damit wir ihn nicht hören.«
    »Zu dem Schluss bin ich auch gekommen.«
    »Und was jetzt?« Harry nahm vorsichtig einen Schluck.
    »Jetzt suchen wir nach Schneescooterspuren.«
    »Der hiesige Polizist …«
    »Keiner weiß, wo der steckt. Aber ich habe uns einen Scooter besorgt, Karte, Kletterseil, Seilbremse, Eisaxt und Pickel. Also liebkosen Sie Ihre Kaffeetasse nicht zu Tode, für heute Nachmittag ist Schnee gemeldet.«
     
    Um zu der Abrissstelle der Lawine zu kommen, mussten sie die Håvasshütte in einem weiten westlichen Bogen umfahren, wobei sie, wie ihnen der dänische Hotelchef eingeschärft hatte, nicht zu weit in nordwestliche Richtung geraten durften, da sie sonst in die Gegend kämen, die »das Maul« genannt wurde. Den Namen hatte die Gebirgsregion wegen der wie Reißzähne geformten Felsblöcke, die überall herumstanden. Spalten und Abgründe zogen sich heimtückisch durch die Hochebene, so dass bei schlechtem Wetter jede Bewegung lebensgefährlich war, sofern man sich nicht auskannte.
    Gegen 12 Uhr blickten Harry und Bellman auf den ausgegrabenen Schornstein in der Talsenke herunter. Von Westen zogen bereits Wolken auf. Harry blinzelte und schaute nach Nordwesten. Ohne Sonne verschwanden alle Schatten und Konturen.
    »Er muss von dort gekommen sein, sonst hätten wir ihn gehört«, sagte Harry.
    »Aus dem Maul«, sagte Bellman.
    Zwei Stunden später, nachdem sie das Gelände im Schneckentempo kreuz und quer von Süden nach Norden abgesucht hatten, ohne auch nur eine Schneescooterspur zu finden, machten sie Pause. Sie saßen nebeneinander auf dem Sitz des Scooters und tranken den Kaffee aus der Thermoskanne, die Bellman mitgebracht hatte. Es hatte leicht zu schneien begonnen.
    »Auf einem Bauplatz in Manglerud habe ich einmal eine ungebrauchte Stange Dynamit gefunden«, erzählte Bellman. »Ich war damals fünfzehn. In Manglerud konnten Jugendliche drei Sachen machen. Sport, Gospelchor oder Drogen. Mich interessierte nichts davon. Sicher nicht, auf der

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