Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
ohnmächtig geworden sein. Dann merkte er, dass an dem Metallfaden der Kugel gezogen wurde, die noch immer in seinem Mund steckte. Sein Herz startete, beschleunigte, hämmerte sich durch den Brustkorb. Er schob den Mund dicht an den Nagel, durch den die Schnur führte, wohl wissend, dass ihm das wenig nützen würde, wenn wirklich jemand die Tür öffnete.
    Ein Streifen Licht, der von draußen hereinfiel, traf die Wand über ihm. Sie glitzerte von Blut. Er führte einen Finger in den Mund, legte ihn auf die Zähne des Unterkiefers und zog nach unten. Die Schmerzen ließen ihm wieder für einen Augenblick schwarz vor Augen werden, aber dann spürte er, dass der Kiefer nach unten klappte. Er saß nicht mehr im Gelenk! Während er mit der einen Hand den Kiefer nach unten zog, bekam er mit der anderen die Kugel zu fassen und versuchte sie sich aus dem Mund zu ziehen.
    Er hörte Geräusche vor der Tür. Verdammt! Verdammte Scheiße! Er bekam die Kugel noch immer nicht zwischen den Zähnen heraus und drückte den Kiefer noch weiter nach unten. Das Knirschen von Knochen und zerreißendem Gewebe schien aus seinem eigenen Ohr zu kommen. Er versuchte, den Kiefer an einer Seite so weit nach unten zu drücken, dass er die Kugel seitlich herausziehen konnte, aber die Haut war im Weg. Er sah, dass sich die Klinke bewegte. Hatte keine Zeit mehr, keine Zeit! Es war alles vorbei.
     
    Ein letzter, kleiner Gedanke. Die SMS . Irgendwas stimmte da nicht. Dieser vertrauliche Plauderton klang nicht nach Harry. Kaja öffnete die Augen. Und was hatte er auf ihrer Terrasse gesagt, als sie über den Titel des Fante-Buchs gesprochen hatten? Dass er niemals SMS schickte. Weil er seine Seele nicht verlieren und keine Spuren hinterlassen wollte, wenn er verschwand. Sie hatte nie auch nur eine SMS von ihm bekommen. Bis eben. Er hätte anrufen können. Da stimmte etwas nicht, und diese Schlussfolgerung war keine Notlüge ihres Hirns, um die Tür nicht öffnen zu müssen. Das war eine Falle.
    Vorsichtig ließ Kaja die Klinke los und spürte einen warmen Lufthauch im Nacken. So, als pustete sie jemand an. Sie strich »so, als« und drehte sich um.
    Sie waren zu zweit. Ihre Gesichter verschmolzen mit der Dunkelheit.
    »Looking for someone, lady?«
    Das Gefühl eines Déjà-vu ergriff sie, noch bevor sie geantwortet hatte: »Wrong door, that’s all.«
    Im selben Moment hörte sie ein Auto starten, sie drehte sich um und sah, wie sich die Rücklichter ihres Taxis über die Straße entfernten.
    »Don’t worry, lady« , sagte die Stimme. »We paid him.«
    Sie drehte sich zurück und blickte nach unten. Auf die Pistole, die auf sie gerichtet war.
    »Let’s go.«
    Kaja durchdachte ihre Möglichkeiten, was schnell erledigt war. Es gab keine.
    Sie ging vor ihnen zu den beiden Range Rover. Die Hintertür des einen Wagens öffnete sich, als sie näher kamen. Sie setzte sich hinein. Es roch würzig nach Rasierwasser und neuem Leder. Die Tür schlug hinter ihr zu. Er lächelte. Die Zähne waren groß und weiß und die Stimme sanft und munter:
    »Hallo, Kaja.«
    Tony Leike trug einen gelbgrauen Tarnanzug. Seine Hand hielt ein rotes Handy, Harrys Handy.
    »Sie sollten doch direkt hineingehen. Was hat Sie umgestimmt?«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    »Faszinierend«, sagte er und neigte den Kopf zur Seite.
    »Was?«
    »Sie scheinen überhaupt keine Angst zu haben.«
    »Warum sollte ich?«
    »Weil Sie bald sterben werden. Haben Sie das immer noch nicht begriffen?«
    Kaja spürte, wie es ihr den Hals zuschnürte. Doch auch wenn ihr eine innere Stimme zuraunte, dass das alles nur leere Drohungen waren, dass sie Polizistin war und er niemals dieses Risiko eingehen würde, gelang es dieser Stimme nicht, die andere zu übertönen, die ihr sagte, dass Tony Leike genau wusste, wie er die Situation einzuschätzen hatte. Harry und sie waren nichts weiter als zwei Kamikaze-Idioten, weitab der Heimat, ohne Handlungsbefugnis, Back-up oder Rückzugsmöglichkeiten. Chancenlos.
    Leike drückte auf einen Knopf und ließ das Seitenfenster nach unten gleiten.
    »Go finish him and bring him up there«, sagte er zu den beiden Männern und fuhr das Fenster wieder hoch.
    »Es hätte dem Ganzen einen Hauch Klasse gegeben, wenn Sie diese Tür geöffnet hätten«, sagte Leike. »Ich finde wirklich, Harry hätte einen poetischen Tod verdient. Aber so wie die Sache aussieht, sollten wir lieber auf einen poetischen Abschied setzen.« Er beugte sich vor und blickte in den Himmel. »Ein

Weitere Kostenlose Bücher