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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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fröhliche Krankenschwester zu sich, die ihn auf unschuldig flirtende Weise beim Vornamen nannte. Harry bemerkte, dass sein Vater ein wenig tiefer sprach, als er ihr erklärte, dass Harry an seinen Koffer müsse, um an die Hausschlüssel zu kommen. Der kranke Mann im Bett plusterte sich tatsächlich ein bisschen auf, doch irgendwie wirkte das nicht lächerlich, sondern ganz natürlich.
    Zum Abschied wiederholte sein Vater: »Alles, um was sie mich gebeten hat.« Und flüsterte dann: »Bis auf eins.«
    Als die Schwester Harry zum Aufbewahrungsraum führte, sagte sie ihm, der Arzt wolle mit ihm sprechen. Nachdem er den Schlüssel im Koffer gefunden hatte, klopfte Harry an die Tür, die die Schwester ihm gezeigt hatte.
    Der Arzt bat ihn herein, deutete auf einen Stuhl, lehnte sich zurück und legte die Fingerspitzen aneinander. »Gut, dass Sie nach Hause gekommen sind. Wir haben versucht, Sie zu erreichen.«
    »Ich weiß.«
    »Der Krebs hat sich ausgebreitet.«
    Harry nickte. Jemand hatte mal zu ihm gesagt, es sei der Job einer Krebszelle, sich auszubreiten.
    Der Arzt musterte ihn lange, als überlege er sich seinen nächsten Schritt.
    »Ja«, sagte Harry.
    »Ja?«
    »Ja, Sie können mir auch den Rest sagen.«
    »Wir geben keine Prognosen mehr ab, wie lange ein Mensch noch zu leben hat. Dafür sind die Abweichungen und die damit verbundenen Belastungen zu groß. Aber in diesem Fall halte ich es für angemessen, Ihnen mitzuteilen, dass Ihr Vater eigentlich schon über der Zeit ist.«
    Harry nickte. Sah aus dem Fenster. Der Nebel über der Stadt hatte sich noch immer nicht gelichtet.
    »Haben Sie ein Handy, über das wir Sie erreichen könnten, falls es akut wird?«
    Harry schüttelte den Kopf. War es das Heulen einer Sirene, das durch den Nebel zu ihnen nach oben drang?
    »Jemand, den Sie kennen, der Ihnen Bescheid geben kann?«
    Harry schüttelte erneut den Kopf. »Kein Problem. Ich melde mich bei Ihnen und besuche ihn jeden Tag, okay?«
    Der Arzt nickte und blickte Harry nach, als er aufstand und den Raum verließ.
     
    Es war neun Uhr, als Harry zum Frognerbad kam. Der Frognerpark erstreckt sich insgesamt über eine Fläche von gut fünfzig Hektar. Das öffentliche Freibad macht davon nur einen kleinen Teil aus, der überdies eingezäunt ist. So hatte die Polizei keine Schwierigkeiten, den Tatort abzusperren. Sie zogen einfach ein Absperrband um den gesamten Zaun und stellten einen Beamten zur Bewachung des Eingangs ab.
    Die Reporter umkreisten den Tatort wie Aasgeier und überlegten, wie sie zum Kadaver gelangen konnten. Immerhin handelte es sich um eine echte Stortingsabgeordnete, und angesichts solcher Prominenz hatte die Öffentlichkeit doch wohl ein Recht auf ein paar Bilder?
    Harry kaufte sich am Kiosk einen Americano. Schon den ganzen Februar standen die Stühle und Tische auf dem Bürgersteig, und Harry setzte sich, zündete sich eine Zigarette an und betrachtete die neugierige Schar vor dem Eingang.
    Ein Mann nahm neben ihm Platz.
    »Harry Hole höchstpersönlich. Wo sind Sie gewesen?«
    Harry hob seinen Blick. Roger Gjendem, Kriminalreporter bei der Aftenposten, zündete sich eine Zigarette an und blickte gestikulierend in Richtung Frognerpark. »Jetzt kriegt Marit Olsen doch noch, was sie wollte. Spätestens heute Abend um acht kennt sie ganz Norwegen. Sich am Sprungturm des Frognerbades aufzuhängen? Good career move .« Er drehte sich zu Harry und schnitt eine Grimasse. »Was ist mit Ihrem Kiefer passiert? Sie sehen schrecklich aus.«
    Harry antwortete nicht. Nippte an seinem Kaffee und tat nichts, um die peinliche Pause zu füllen. Innerlich hoffte er wohl darauf, der Journalist würde von allein bemerken, dass er unerwünscht war. Aus dem Nebel über ihnen war das knatternde Geräusch eines Rotors zu hören. Roger Gjendem schaute mit zusammengekniffenen Augen nach oben.
    »Ganz sicher VG . Typisch, die mieten sich gleich einen Helikopter. Hoffentlich bleibt der Nebel so dicht.«
    »Hm«, erwiderte Harry, »bevor VG Bilder kriegt, soll lieber keiner welche kriegen?«
    »Klar, ist doch logisch. Was wissen Sie?«
    »Garantiert weniger als Sie«, antwortete Harry. »Die Leiche wurde bei Tagesanbruch von einem der Hausmeister gefunden, der sofort die Polizei alarmiert hat. Und Sie?«
    »Der Kopf wurde glatt abgerissen. Allem Anschein nach ist die Frau mit einer Schlinge um den Hals oben vom Turm gesprungen. Und sie war ja ziemlich dick. So in der Hundertundfünfzigkiloklasse. Sie haben Fasern am Zaun

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