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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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im Videotext. »Stortingsabgeordnete tot im Sprungbecken des Frognerbades aufgefunden.« Die Onlineseiten der Zeitungen sind voll. Ausdrucken, ausschneiden, ausschneiden.
    Es wird nicht lange dauern, bis die ersten Websites ihren Namen veröffentlichen. Bisher waren die sogenannten Ermittlungen der Polizei lächerlich stümperhaft, weniger spannend als irritierend gewesen. Aber nun werden sie alle Ressourcen mobilisieren, nicht nur herumstochern wie bei Borgny und Charlotte. Marit Olsen war schließlich Stortingsabgeordnete. Es ist an der Zeit, dass das hier beendet wird. Denn ich habe das nächste Opfer bereits auserkoren.

KAPITEL 12
     
    Tatort
     
    H arry rauchte draußen vor dem Krankenhausgebäude eine Zigarette. Über ihm war der Himmel blassblau, während die Stadt unter ihm unter einer Nebeldecke lag, die sich zwischen den grünen Bergen ausbreitete. Der Anblick erinnerte ihn an seine Kindheit in Oppsal. Wie oft hatte er mit Øystein die erste Schulstunde geschwänzt, war zu den Wehrmachtsbunkern in Nordstrand gefahren und hatte auf den erbsensuppenfarbenen Nebel geblickt, der das Zentrum von Oslo zudeckte. Mit den Jahren war der Morgennebel mehr und mehr aus Oslo verschwunden, mit der Industrie und den Holzöfen.
    Harry trat die Zigarette mit dem Absatz aus.
     
    Olav Hole sah besser aus. Vielleicht lag das aber auch nur am Licht. Er fragte Harry, wieso er lächele und was eigentlich mit seinem Kiefer geschehen sei.
    Harry redete von einer Dummheit und fragte sich, in welchem Alter die Vorzeichen sich umkehrten. Wann fingen die Kinder damit an, ihre Eltern vor der Wirklichkeit zu schützen? Er kam zu dem Ergebnis, irgendwann mit zehn.
    »Deine kleine Schwester war hier«, sagte der Vater.
    »Wie geht es ihr?«
    »Gut. Als sie hörte, dass du wieder zurück bist, sagte sie, dass sie jetzt aber auf dich aufpassen muss. Denn jetzt sei sie ja groß. Und du klein.«
    »Hm, eine kluge Frau. Wie geht es dir heute?«
    »Gut, sehr gut, wirklich. Es wird Zeit, dass ich hier rauskomme.«
    Er lächelte, und Harry erwiderte sein Lächeln.
    »Was sagen die Ärzte?«
    Olav Hole lächelte noch immer. »Viel zu viel. Wollen wir nicht über etwas anderes reden?«
    »Gerne, worüber möchtest du reden?«
    Olav Hole dachte nach. »Über sie.«
    Harry nickte. Und saß still da und hörte seinen Vater erzählen, wie er und Harrys Mutter sich getroffen hatten. Von ihrer Heirat. Und von Mutters Krankheit, als Harry noch ein Kind war.
    »Ingrid hat mich immer unterstützt. Immer. Mich hat sie nur ganz selten gebraucht. Bis sie dann krank wurde. Manchmal habe ich gedacht, diese Krankheit ist ein Segen.«
    Harry zuckte zusammen.
    »Sie gab mir die Möglichkeit, ihr etwas zurückzuzahlen, verstehst du. Und ich habe bezahlt. Habe getan, um was sie mich gebeten hat. Alles.« Olav Hole richtete seinen Blick auf seinen Sohn. »Alles, Harry. Bis auf eines.«
    Harry nickte.
    Der Vater redete weiter. Über Søs und Harry, darüber, wie lieb und nett Søs immer gewesen sei und wie willensstark Harry. Dass er Angst im Dunkeln gehabt habe, das aber niemandem sagen wollte, und wie oft er gemeinsam mit Harrys Mutter vor der Tür gestanden und gelauscht habe, wenn er geweint und unsichtbare Monster verflucht hatte. Sie hätten damals ganz genau gewusst, dass sie nicht zu ihm hineingehen und ihn trösten durften, denn dann wäre er wütend geworden, hätte herumgeschrien, dass sie alles kaputtmachten, und sie aus dem Zimmer geworfen.
    »Harry, du hast immer allein gegen die Monster angekämpft.«
    Und dann erzählte Olav Hole wieder die alte Geschichte, dass Harry kein Wort gesprochen habe, bis fast zu seinem fünften Geburtstag. Bis er dann, eines Tages, gleich ganze Sätze von sich gegeben habe. Langsame und ernste Sätze mit erwachsenen Worten. Sie verstanden nie, wo und wie er das gelernt hatte.
    »Søs hat recht«, sagte der Vater lächelnd. »Du bist wieder wie früher, als kleiner Junge. Du redest nicht.«
    »Hm, möchtest du, dass ich rede?«
    Der Vater schüttelte den Kopf. »Nein, du sollst zuhören. Aber genug für heute, komm an einem anderen Tag wieder.«
    Harry drückte mit seiner rechten die linke Hand seines Vaters und stand auf. »Ist es in Ordnung, wenn ich ein paar Tage in Oppsal wohne?«
    »Danke, das ist ja ein nettes Angebot. Ich wollte dich nicht darum bitten, aber jemand müsste nach dem Haus sehen.«
    Harry verkniff es sich, von dem abgestellten Strom in seiner eigenen Wohnung zu erzählen.
    Der Vater rief eine junge,

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