Ler-Trilogie 02 - Die Zan-Spieler
Konturen einer weiteren Ruine ausmachen: ein Gebäude, das schon lange in sich zusammengefallen war. Pfeiler ragten aus dem Wasser. Falken patrouillierten in der Luft, Klapperschlangen hüteten den Boden. Eine unerträgliche Einsamkeit und Schönheit herrschte hier; er konnte sie sehen, jedoch nicht in Worte fassen. Beschreibungen wären ungenügend. Es bedurfte eines Legendenmannes, um ein furchtbares Drama in dieser Landschaft zu inszenieren, denn nur in eine Handlung eingebettet war die wahre Gestalt dieses Ortes nachzuzeichnen. Jetzt lag eine beherrschende Melancholie in der Luft, im Licht. Man fühlte sich zu heroischen Taten gedrängt, aber auch zu tiefem Grübeln. Ja, vielleicht war es das Licht, ein seltsames Porzellanlicht, von der See halb gefiltert. Oder der Wind, der sich jetzt, von Zeit zu Zeit regelrecht aufheulend, spürbar erhob. Morlenden zog seinen Mantel fester um die Schultern, streifte die Kapuze über den Kopf, befestigte sie und folgte dem Pfad weiter hügelan. Gelegentlich blieb er stehen, um wieder zu Atem zu kommen.
Er hatte sich einen guten Teil des Wegs zum Gipfel hinaufgearbeitet, als das Licht schwächer wurde, ein Verdichten in der Luft. Die Schatten wurden tiefer, breiteten sich aus, wuchsen. Wolken erschienen am Himmel über ihm, fein, dicht über dem Boden, vage, lachs- und rosafarben, Tönungen eines unmöglichen, flüchtigen Gelbs. Er fühlte sich unbehaglich, obwohl er in seinem Leben bereits manche einsame Meile gegangen war. Und jetzt hörte er von irgendwo tief unter sich, aus weiter Ferne, herangetragen vom Wind, ein seltsames Heulen. Wie ein Hund, dennoch anders, voll idiotischen Gelächters. Er fröstelte, und nicht des Windes wegen. Er war dort vor nicht allzu langer Zeit gegangen. Ein unheimlicher Ort für das Mädchen, voller Gespenster und Geister.
Er hatte sein Ziel erreicht und merkte es gar nicht gleich. Morlenden war dem Serpentinenweg gefolgt, der sich den Berg hinaufwand, und plötzlich gab es diesen Weg nicht mehr, plötzlich befand er sich in einem flachen Tal zwischen Gipfel und einer niederen, westlichen Anhöhe. Er konnte nach Norden sehen, über hügeliges, schattiges Land, über Täler und dahinter aufsteigende Hochebenen, das sich jetzt wie eine Schüssel mit Dunkelheit füllte. Die Wolken hingen tief am Himmel und glitten rasch dahin, sanft wogend und hektisch wirbelnd.
Und vor ihm, im Schutz der Anhöhe des Pico Tranquillon, ragte eine winzige Steinhütte auf, und gelbes Licht ergoß sich durch kleine Fenster in den dunkler werdenden Abend und die Nacht heraus. Eine dünne Rauchfahne wurde vom steinernen Kamin gerissen. Ein seltsames kleines Haus war es, ein Haus, in dem gewiß kein Ler wohnen würde, aber einen Augenblick lang erschien es ihm als das Lustigste, was er je gesehen hatte. Und weiter oben, mehr dem Gipfel zu, entdeckte er weitere Ruinen: leblose Betonhüllen, das verbogene Metallgerüst eines Geräts darüber. Der Wind säuselte um Metall, als würde er es hassen, nutzte es nur wenig langsamer als die Felsen ab. Morlenden eilte zur Tür, klopfte.
Er hatte nicht erwartet, daß Mevlannen, die Schwester Maellenkleths, letzterer ähnlich sah. Schließlich war es der Nerh, Klervondaf, gewesen, der ein Elternteil mit Maellen gemeinsam hatte. Sie würde eine Fremde sein, sie hatten leibhaftig verschiedene Eltern. Die Person, die ihm in der geöffneten Tür gegenüberstand, war ein Ler-Mädchen passenden Alters, um Zwanzig, aber es sah älter aus. Ihr Haar war, soviel er sehen konnte, dunkel, ihre Haut blaß, die Augen waren ziemlich hell. Ihr Gesicht war klar und scharf geschnitten; ein gewaltiger Kontrast zu Maellens gerundeter Weichheit. Aber es lag nichts Raubtierhaftes darin, ebensowenig wie bei Sanjirmil. Hier rührten die scharfen Linien von Zartheit und Zierlichkeit her, nicht von abwehrend angespannt und verkrampft gehaltenen Muskeln.
Ihr Haar war glatt, dunkelbraun, sehr fein, seidig, und länger getragen, als es für ein Mädchen ihres Alters ziemlich war … Dann fiel ihm ein, wo sie die letzten fünf oder sechs Jahre verbracht hatte. Ihre Haut war von bleicher, schnee-cremiger Farbe, leicht gefleckt von winzigen Sprenkeln. Die Nase war gerade und schmal; dies erinnerte ihn am meisten an Taskellan. Das Winter-Überhemd, das sie trug, verbarg das meiste von ihrem Körper, aber an dem langen, schlanken Hals und dem feinen, zarten Schlüsselbein konnte er sehen, daß sie dünner war als der Durchschnitt, der zu einer robusteren Figur
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