Lerchenherzen
lange hin, und im nächsten Sommer weidet ein neues »Hyppetek« unter den Apfelbäumen.
Ja, bis zum Herbst ist es noch lange hin, denn jetzt steht die Sonne hoch am hellblauen Sommerhimmel, die Hühner glucken friedlich hinter dem Drahtgeflecht, und »Hyppetek« liegt wiederkäuend im Schatten unter einem der vielen Apfelbäume, ohne daran zu denken, wie es auf Soll und Haben einwirkt.
Der kleine, fahle Norweger nickt sich seinen Weg den Hügel hinauf, einen leeren Heuwagen im Schlepptau, und biegt auf den Hofplatz ein. Der Mann im blaukarierten Hemd und mit einem Taschentuch, das vier Knoten an den Ecken hat, auf dem Kopf als Schutz gegen die Sonne, sagt: »Brrr«, springt unmittelbar vom Wagen und schnappt sich den dreijährigen Jungen, der vor ihm gestanden hat, und läuft zu der weiß gestrichenen Tür am Ende des Stalls, mit dem Jungen unterm Arm. Zum Mittag hat es Salzfleisch und Erbsen gegeben, und jetzt haben die beiden es eilig.
Bald sitzen, die Hosen auf den Knien, der Bauer auf dem großen Sitz und der Kleine auf dem kleinen Loch für die Kinder daneben. Der Vater vertieft sich in eine alte Zeitung, während der Junge herumhantiert, sich fertigmacht und den Po in die Luft streckt, um mit einem Stück Zeitungspapierabgewischt zu werden. Die Hosen werden ihm hochgezogen, und er wird hinausgelassen, dabei ermahnt, nicht wegzulaufen.
Das tut er auch nicht, er klettert nur auf den großen Stein, der so bequem da steht, und hakt die Tür zu. Dann geht er und spielt mit Stöckchen und Steinen auf dem Hof. Der Vater beginnt, geschickt zu locken und zu verhandeln, aber der Kleine hat kein Verständnis für das Prekäre der Situation. Unermüdlich spielt er immer weiter.
»Sei brav und laß mich raus«, bittet der Vater flehentlich, »du weißt doch, daß ich nach Ås muß, um Draht zu holen.« Keine Reaktion.
»Wenn du ein lieber Junge bist und den Haken aufmachst, dann darfst du mit mir nach Ås fahren.«
»Du tommst nie nach Ås«, antwortet der Junge mit Grabesstimme und ahnt nicht, daß er genau diesen Satz noch etliche Male hören wird. Und später dafür erheblich mehr Heiterkeit ernten wird als hier und jetzt.
Denn plötzlich ist Vaters Geduld am Ende, und er legt los und poltert und tobt. Er rüttelt an der Tür und tritt dagegen, während er von Dresche kriegen und anderen Strafen schreit, das Dümmste, was er tun kann. Denn der Junge fängt an zu schreien und rennt davon, als wäre ihm der väterliche Zorn auf den Fersen und nicht mit demHaken an der Tür gut eingeschlossen. Er taumelt direkt Solfrid in die Arme, die gerade auf den Hof einbiegt, hält aber nicht einen Augenblick inne, sondern rennt voller Angst hinunter zu den Feldern, wobei er laut nach der Mutter heult.
Ein Huhn oder zwei gackern verängstigt über diese Unterbrechung der nachmittäglichen Stille, aber sie kommen schnell zur Ruhe, sie sind an mehr Aufstand gewöhnt. Ansonsten ist der Hof so still, wie Sol ihn nie erlebt hat.
Aber das dauert nur einen Augenblick, denn dann beginnt es irgendwo unten am Stall zu poltern und zu brüllen. Es hämmert und schreit und poltert, daß sie sich furchtbar erschreckt und dem Jungen hinterherrennt. Denn das muß mindestens »Rottenikken«, der Waldmensch, sein. Vielleicht ist er gekommen und hat sie alle erschlagen, Milda und Sverre und alle Kinder, alle bis auf den kleinen Leif-Erik, den sie jetzt eingeholt hat, an die Hand nimmt und mit ihm weiterhastet. Nein, so schlimm ist es doch nicht, dort unten auf dem Feld steht Milda und wickelt Draht um die Pflöcke für das Heu, die in einer langen schnurgeraden Reihe eingeschlagen stehen. Die beiden größten Jungen tragen gemeinsam die Drahtrolle und schimpfen auf die Kleineren, denn die haben angefangen, zwischen den Pflöcken Fangen zu spielen.
Milda wird natürlich nicht recht klug aus Solfrids atemloser Erzählung, und der Kleine ist einfachverängstigt, steht da mit großen Augen und kann gar nichts sagen. Aber weil Mann und Pferd fehlen, schürzt sie den Rock und eilt mit den längsten Beinen vorneweg zum Hof.
Dort findet sie das Pferd friedlich grasend und den Mann grimmig hinter Schloß und Riegel auf dem Plumpsklo. Beide lachen sie lange und herzlich, ehe sie den Fahlen wieder zum Feld hinuntertrotten lassen. Heiter machen sie die Heugestelle fertig, laden die ganze Kinderschar, inklusive Solfrid, auf den Heuwagen und ziehen nach Ås, um mehr Draht zu holen.
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Mathilde und Nils-Jan kommen aus dem Hühnerstall, als der Wagen mit
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