Lerchenherzen
Hallvard und Anne-Grete zu tun, denn wir waren gleichaltrig.
Jemand hat gesagt, daß Menschen sogar hören können, wenn sie bewußtlos sind. Wenn du so tief schläfst wie jetzt, bist du so vollständig entspannt, daß du aussiehst, als wärst du bewußtlos. Ich muß dich dann manchmal aufnehmen, um mich dessen zu versichern, daß du nur schläfst, daß du nicht die Absicht hast, unmerklich aus meinem Leben zu gleiten, dorthin zurück, woher du gekommen bist. Oh, sei so gut, versprich mir, daß du mich nicht verläßt! Ich könnte das nicht ertragen.
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Rønnigen ist ein hübscher kleiner Hof, der ganz für sich an einem Bergabhang liegt, seine Fenster sind der Nachmittagssonne zugewandt. Er ist umgeben von einem Apfelgarten, dessen Bäume so reich an Øpfeln sind, daß sie sich biegen und sogar Mathildes übertreffen. Im Frühling schneien weiße Blütenblätter still und sacht und legen sich wie ein duftender Teppich auf die wie gerupft aussehenden Grasbüschel und die alten knorrigen Wurzeln. Den Sommer hindurch wachsen Hunderte kleiner grüner Øpfel heran, werden größer und größer, über den Köpfen der lärmenden Kinderschar, die wie Eichhörnchen zwischen den Stämmen hin- und herflitzen. Jedesmal, wenn eines der Kinder aus Versehen und in raschem Tempo gegen einen der niedrigen Øste stößt, nicht um die jungen Øpfelchen zu schütteln, sondern um einen wütenden großen Bruder abzuschütteln, klammern sich die grünen Früchte standhaft am Ast fest und denken, wenn ich das überlebe, überlebe ich auch die Herbststürme.
Aber das tun sie doch nicht, denn vorher sind sie abgepflückt worden und liegen ordentlich auf Regalen in einem Apfelkeller, in dem so viele vor ihnen gelegen haben und noch so viele folgen werden, daß der Raum und der Rest des Kellers, ja derRest des Hauses und die Menschen obendrein immer den säuerlichen Duft nach Øpfeln um sich haben.
Der folgt den rotwangigen Kindern bis in die Schule, vielleicht weil stets drei, vier Øpfel gemeinsam mit dem Schönschreibheft und der Fibel im Ranzen liegen. Wenn der Lehrer Aufsätze durchsieht, braucht er nicht nach dem Namen auf dem Heft zu schauen, der schwache Duft nach Øpfeln, der aufsteigt, sagt ihm, dies ist das Heft eines der Rønnigen-Kinder. Und der Gedanke an die herrlichen, saftigen Øpfel, die er all die Jahre hindurch bekommen hat, versetzt ihn in gute Laune, und ehe er sich's versieht, wird die Note ein bißchen besser. Aber sehr gut werden die Noten nie, denn besonders tüchtig in der Schule sind sie nicht, diese kerngesunden Kinder. Und wild sind sie, daß es eine Art hat, so daß die Note im Betragen mehr als den Duft nach Øpfeln bedarf, um gerettet zu werden.
An ihnen ist nichts Böses, sie sind nur so unbändig lebenslustig und tatendurstig. Und dann sind es ja so viele. Es ist unglaublich, denken die Leute, die, selten genug, über den Hof gehen, es ist unglaublich, daß das kleine Haus für so viele Platz hat.
Es ist insgesamt kein großer Hof. Ein Schwein haben sie, das wühlt in einem eingezäunten Rechteck gleich neben dem Hofplatz. Das wendet Grasbüschelund altes Laub um und um, schubbert sich an den grauen Holzplanken, so daß der Zaun wackelt, und grunzt vergnügt und unwissend über sein zukünftiges Schicksal.
Wenn Milda, die Bauersfrau, stehenbleibt und den Rücken der Sau mit seinen steifen Borsten krault, während sie freundlich zum Rüssel hin spricht, ist der Gedanke an Eisbein und Rippchen beiden gleichermaßen fern, das kann ich dir versichern. Nichtsdestotrotz landet das Schwein, noch ehe der erste Winterschnee fällt, im Brühkessel, jedes Jahr.
Nein, ein großer Hof ist es nicht, aber er ist schön und gepflegt. Der frisch gestrichene, niedrige Stall hat Platz für drei bis vier Kühe, ein paar Fähen und ein kleines Bullenkalb mit weißer Stirn. Die Kinder nennen es »Hyppetek«, und von dem Augenblick, wo es zum ersten Mal seine wackeligen Beine auf den Boden des Stalls stellt und sie mit großen ernsten Augen anschaut, lieben sie es von Herzen.
Den ganzen Sommer über wird es im Apfelgarten das Gras abweiden, angebunden an einen Pflock, der immer wieder versetzt wird. Aber sobald es groß genug ist, wird es zum Schlachter geschickt, um Geld für die Abzahlung der Hypothek hereinzubringen. Deshalb hat es seinen Namen bekommen, und deshalb ist es gewissermaßen wertvoller als die anderen Tiere. Und selbstverständlichwerden die Kinder jammern, wenn das Unvermeidliche ansteht, aber noch ist es
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