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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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ein verkrachter Mediziner, der stracks Totengräber geworden ist.
    Fauchelevent begann wild zu lachen.
    »Na, toll geht’s ja zu auf der Welt! Papa Mestienne ist tot? Gut, der kleine Papa Mestienne ist tot, so lebe der kleine Papa Lenoir! Kennen Sie den? Ein fabelhafter Roter zu sechs Sous pro Kapsel. Schießt alles ab, was das Surêne hervorbringt, Schockschwerenot! Echter Surêne! Ach, tot ist der alte Mestienne, tut mir leid; bei Lebzeiten war er recht lebhaft. Aber auch Sie, Sie stehen einstweilen gut auf den Beinen. Nicht wahr, wir gehen jetzt einen heben, wir beide?«
    »Ich habe studiert. Bis zum vierten Jahrgang hab ich es gebracht. Ich trinke niemals.«
    Der Wagen fuhr wieder los und bog jetzt in die große Friedhofsallee ein.
    Fauchelevent ging langsam. Er hinkte vor Angst mehr als je. Der Totengräber stapfte voraus.
    Noch einmal examinierte Fauchelevent den unerwarteten Gribier. Es war einer von denen, die, obwohl sie jung sind, alt aussehen, und obwohl sie mager sind, über genug Kräfte verfügen.
    »Kamerad!« rief Fauchelevent.
    Der andere wandte sich um.
    »Ich bin der Totengräber des Klosters.«
    »Kollege also«, sagte der andere.
    Fauchelevent war des Lesens und Schreibens unkundig, aber schlau genug, um zu begreifen, daß er es hier mit einem beängstigenden Menschen und überdies mit einem guten Sprecher zu tun hatte.
    »Na ja«, murmelte er, »Vater Mestienne ist tot.«
    »Mausetot«, sagte der andere. »Der liebe Gott hat in seinemBuch nachgesehen, welche Wechsel jetzt zum Protest kommen, und da hat er gesehen, daß Mestienne an der Reihe war.«
    »Der liebe Gott«, murmelte Fauchelevent mechanisch.
    »Der liebe Gott«, sagte der andere dozierend, »den die Philosophen den ewigen Vater, die Jakobiner das höchste Wesen nennen.«
    »Wollen wir denn nicht Bekanntschaft schließen?« stammelte Fauchelevent.
    »Das ist schon gemacht. Sie sind ein Bauer, ich bin ein Pariser.«
    »Wissen Sie, ich sage immer: solange man zusammen nicht einen gehoben hat, kennt man sich nicht. Glas ausgetrunken, Herz ausgeschüttet! Kommen Sie mit mir einen trinken. So was lehnt man doch nicht ab.«
    »Erst die Arbeit.«
    Verloren, dachte Fauchelevent.
    Noch einige Biegungen der kleinen Allee, und man war an der Begräbnisstätte der Nonnen.
    »Bauer«, sagte der Totengräber unvermittelt, »ich habe sieben Mäuler zu stopfen. Da sie essen müssen, darf ich nicht trinken.« Und ernsthaft fügte er hinzu: »Ihr Hunger ist der Feind meines Durstes.«
    Der Leichenwagen bog jetzt in eine Gruppe von Zypressen und fuhr durch ungepflegtes Gelände. Man war offenbar dicht vor dem Begräbnisplatz. Fauchelevent ging zwar langsamer, aber er konnte dadurch den Wagen nicht aufhalten. Glücklicherweise kamen die Räder in dem lockeren, vom winterlichen Regen aufgeweichten Erdreich schwach vorwärts.
    Wieder wandte er sich an den Totengräber:
    »Und so einen guten Wein aus Argenteuil gibt es dort«, murmelte er.
    »Mann vom Lande, das dürfte nicht sein, daß ein Mann wie ich Totengräber ist. Mein Vater war Pförtner am Prytaneum. Er bestimmte mich für die Literatur. Aber er hatte Unglück. Er verlor an der Börse. Ich konnte nicht den Dichterberuf ergreifen. Immerhin bin ich öffentlicher Schreiber.«
    »Also Sie sind nicht Totengräber?« fragte Fauchelevent, der nach diesem schwachen Zweig der Hoffnung griff.
    »Das eine schließt das andere nicht aus. Ich kumuliere diese beiden Berufe.«
    Fauchelevent kannte das Wort kumulieren nicht.
    »Gehen wir trinken«, sagte er.
    Wir müssen hier eine Bemerkung einschalten. Fauchelevent bot in seiner Angst einen gemeinsamen Trunk an, aber über die Frage, wer ihn bezahlen sollte, äußerte er sich nicht. Gemeinhin hatte er es so gehalten, daß er einlud und Mestienne bezahlte. Diesmal resultierte die Einladung offenbar aus der Lage, die durch Einstellung des neuen Totengräbers geschaffen war, und sie mußte von ihm, Fauchelevent, ausgehen, aber der alte Gärtner vermied volle Klärung. So erregt er auch war, dachte er zunächst nicht ans Zahlen.
    Inzwischen fuhr der Totengräber mit überlegenem Lächeln fort:
    »Essen muß der Mensch. Ich habe Vater Mestiennes Amt übernommen. Wenn man sein Gymnasium fast gemacht hat, ist man auch Philosoph. Zur Arbeit der Hand fügt man gern die des Armes. Ich habe meinen Schreiberstand auf dem Markt in der Rue de Sèvres. Wissen Sie, der Regenschirmmarkt. Alle Köchinnen von der Croix-Rouge kommen zu mir. Ich mache ihnen ihre Liebesbriefe an die

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