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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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Soldaten. Morgens schreibe ich gurrende Brieflein, abends bin ich Totengräber. So ist das Leben, Bauer.«
    Der Wagen rollte immer weiter. Fauchelevent hatte den Höhepunkt seiner Unruhe erreicht und blickte fassungslos um sich. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn.
    »Aber man kann nicht zwei Herren dienen«, fuhr der Totengräber fort. »Ich werde mich zwischen Feder und Schaufel entscheiden müssen. Die Schaufel macht meine Hand schwer.« Der Wagen hielt. Der Chorknabe stieg aus der Equipage, dann folgte der Priester.
    Eines der Räder des Wagens war in einem Erdhaufen festgefahren, hinter dem man in eine offene Grube blickte.
    »Ein Mordsspaß!« wiederholte Fauchelevent außer sich.
Zwischen vier Brettern
    Alles ging, wie Jean Valjean es vorausgesehen hatte. Auch er verließ sich, wie Fauchelevent, auf Vater Mestienne. Jetzt zweifelte er nicht mehr an dem guten Ausgang. Nie war eine Situation kritischer, nie gleichzeitig die Ruhe des Betroffenen vollendeter.
    Die vier Bretter eines Sarges schließen, wenn dieser Ausdruck erlaubt ist, einen furchtbaren Frieden in sich. Es war, als ob etwasvon der Ruhe der Toten auf Jean Valjean übergegangen wäre. Aus seinem Sarge konnte er allen Phasen des Dramas folgen. Kurz nachdem Fauchelevent den Deckel vernagelt hatte, hatte er gefühlt, wie er zuerst getragen, dann gefahren wurde. Als der Wagen weniger stieß, begriff er, daß er jetzt durch eine gutgepflasterte Straße kam, durch einen der Boulevards. Aus einem dumpfen Geräusch erriet er, daß der Wagen jetzt über die Austerlitzer Brücke fuhr. Als er das erstemal hielt, war man offenbar an der Friedhofsmauer angekommen, beim zweitenmal an der Grube.
    Jetzt faßten Hände nach dem Sarg, ein rauhes Reiben wurde an den Brettern vernehmbar: man schlang also gerade das Seil um den Sarg, um ihn in die Grube zu senken.
    Dann folgte eine leichte Betäubung. Die Träger hatten den Sarg wohl schräg gestellt, der Kopf war vor den Füßen unten angekommen. Als er wieder in horizontale Lage kam, wurde ihm besser. Er fühlte eine gewisse Kälte.
    Eine Stimme sprach etwas aus der Höhe herab, eisig und feierlich. Langsam, daß er eines nach dem andern greifen konnte, klangen die lateinischen Worte, die er nicht verstand, an sein Ohr:
    »Qui dormiunt in terrae pulvere, evigilabunt: alii in vitam aeternam, et alii in opprobrium, ut videant semper.«
    Eine Kinderstimme antwortete:
    »De profundis.«
    Die tiefe Stimme begann von neuem:
    »Requiem aeternam dona ei, domine.«
    Und wieder die Kinderstimme:
    »Et lux perpetua luceat ei.«
    Dann war etwas wie leichtes Klatschen von Regentropfen auf dem Deckel zu vernehmen. Offenbar Weihwasser.
    Es wird gleich zu Ende sein, dachte er. Noch ein wenig Geduld. Der Priester wird gehen. Fauchelevent führt Mestienne in die Kneipe. Mich läßt man allein. Dann kommt Fauchelevent zurück, diesmal allein, und ich steige heraus. Die Sache kann eine gute Stunde dauern.
    Die tiefe Stimme begann von neuem:
    »Requiescat in pace.«
    Und die Kinderstimme:
    »Amen.«
    Jean Valjean spitzte die Ohren und hörte Schritte sich entfernen.
    Aha, jetzt gehen sie. Ich bleibe allein.
    Jetzt hörte er ein furchtbares Getöse, das wie ein Donnerschlag auf den Deckel des Sarges niederging.
    Es war eine Schaufel Erde. Eine zweite folgte.
    Eines der Löcher, durch das er atmete, war verlegt.
    Eine dritte.
    Dann eine vierte.
    Es gibt Dinge, die der stärkste Mann nicht erträgt. Jean Valjean fiel in Ohnmacht.
Man erfährt den Ursprung des Wortes: Seine Karte nicht verlieren
    Und folgendes trug sich inzwischen über dem Sarge zu, in dem Jean Valjean lag.
    Als der Wagen sich entfernt hatte und der Priester und der Chorknabe wieder in ihre Equipage gestiegen waren, sah Fauchelevent, der den Totengräber nicht aus den Augen ließ, wie dieser sich bückte und seinen Spaten ergriff.
    Ein äußerster Entschluß reifte in ihm.
    Er trat zwischen die Grube und den Totengräber, breitete die Arme aus und sagte:
    »Ich bezahle es!«
    »Was, Bauer?« fragte der Totengräber verwundert.
    »Nun«, stotterte Fauchelevent, »ich bezahle.«
    »Was?«
    »Den Wein.«
    »Welchen Wein?«
    »Den Argenteuil.«
    »Geh zum Teufel!« sagte der Totengräber. Und er warf den ersten Spaten voll Erde auf den Sarg.
    Der Sarg ächzte. Fauchelevent glaubte zu taumeln und fürchtete, er würde selber in die Grube fallen. Röchelnd stöhnte er:
    »Kamerad, rasch, bevor die Budike schließt! Ich bezahle! Hören Sie, Kamerad, ich bin der Totengräber des

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