Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)
Saintonge eingetreten. Die Revolution hatte ihn mitgerissen. Das Regiment von Saintonge war ein Teil der Rheinarmee. Auch nach dem Sturz der Monarchie behielten die alten Regimenter ihre Namen, erst 1794 wurde die Einteilung in Brigaden durchgeführt. Pontmercy schlug sich bei Speyer, Worms, Neustadt, Türkheim und Mainz, wo er zu den zweihundert Leuten der Nachhut Houchards gehörte. Gegen das Korps des Prinzen von Hessen hielt er mit zwölf Mann Andernach und zog sich erst zurück, als eine feindliche Kanone eine Bresche in die Schanze gerissen hatte. Unter Kléber focht er bei Marchiennes, und bei Mont-Palissel verlor er seinen Arm.
Man sandte ihn nach Italien, und dort war er mit Joubert einer der Verteidiger des Col di Tenda. Joubert wurde dort Generaladjutant, Pontmercy Unterleutnant. Bei Lodi stürmte er mit Berthier mitten ins wildeste Feuer, an jenem Tage, da Bonaparte sagte: Berthierwar Kanonier, Grenadier und Kavallerist. Bei Novi sah er seinen alten General Joubert in dem Augenblick fallen, in dem dieser den Säbel zog und schrie:
»Vorwärts!«
1805 gehörte er zur Division Malher, die den Erzherzog Ferdinand aus Günzburg warf, bei Austerlitz zeichnete er sich in jenem berühmten Staffelaufmarsch, der mitten im ärgsten Feuer durchgeführt wurde, aus. Als die kaiserlich-russische Garde ein Bataillon unseres vierten Linienregiments vernichtete, gehörte Pontmercy zu jenen, die Rache übten und jene Garde zerrieben. Der Kaiser gab ihm dafür das Kreuz der Ehrenlegion. Er war dabei, wie Wurmser in Mantua, Melas in Alessandria, Mack in Ulm gefangen wurden. Später gehörte er zu jenem achten Korps der großen Armee, das unter Mortiers Kommando Hamburg eroberte. Er wurde zu den Fünfundfünfzigern, einem flandrischen Regiment, versetzt und stand bei Eylau auf jenem Friedhof, auf dem der heldenhafte Hauptmann Louis Hugo, der Onkel des Verfassers, mit dreiundachtzig Mann zwei Stunden lang eine feindliche Armee aufhielt. Pontmercy war einer der drei Männer, die diesen Friedhof lebendig verließen. Er sah Friedland, Moskau, die Beresina, Lützen, Bautzen, Dresden, Wachau, Leipzig und Gelnhausen; später Montmirail, Château-Thierry, Craon, die Marne und die Aisne. In Arnay-le-Duc war er bereits Kapitän, säbelte zehn Kosaken nieder und rettete zwar nicht seinen General, aber seinen Korporal. Dabei wurde er so jämmerlich zerfetzt, daß ihm allein aus dem linken Arm siebenundzwanzig Knochensplitter geschnitten werden mußten. Acht Tage vor dem Sturz von Paris tauschte er mit einem Kameraden und trat in die Kavallerie ein. Er begleitete Napoléon nach Elba, war bei Waterloo Eskadronchef der Kürassiere von der Brigade Dubois. Damals erbeutete er die Fahne des Lüneburger Bataillons und legte sie dem Kaiser zu Füßen. Er war bereits mit Blut bedeckt. Bei der Eroberung der Fahne hatte er einen Säbelhieb quer durch das Gesicht bekommen. Als der Kaiser ihm zurief: »Du bist Oberst, Baron, Offizier der Ehrenlegion!« antwortete Pontmercy: »Sire, ich danke Ihnen im Namen meiner Witwe.«
Eine Stunde später fiel er in der Schlucht von Ohain. Dort war es, wo er, aus einer Ohnmacht erwachend, einen Leichenfledderer für seinen Retter hielt: Thénardier.
Und dieser Pontmercy war der Brigant von der Loire.
Die Restauration hatte ihn auf Halbsold gesetzt und hatte ihm, wohl um ihn besser überwachen zu können, Vernon als Aufenthaltsort zugewiesen. Ludwig XVIII. wollte alles, was während der Hundert Tage geschehen war, nicht anerkennen, und darum wurde Pontmercy weder als Offizier der Ehrenlegion noch als Oberst, noch als Baron angenommen. Doch unterließ er es nie, seine Briefe zu unterschreiben:
Oberst Baron Pontmercy.
Er hatte nur einen alten blauen Rock, aber niemals ging er aus, ohne die Rosette des Offiziers der Ehrenlegion anzustecken. Der Prokurator des Königs ließ ihm mitteilen, daß er wegen unberechtigten Tragens dieser Auszeichnung zur Rechenschaft gezogen würde. Pontmercy antwortete dem Überbringer dieser Botschaft mit bitterem Lächeln:
»Entweder verstehe ich nicht mehr Französisch, oder Sie sprechen es nicht richtig; jedenfalls begreife ich nicht.«
Dann ging er acht Tage lang mit seiner Rosette aus. Man wagte nicht, ihn zu behelligen. Zwei- oder dreimal sandte er dem Kriegsminister und dem Departementkommandanten Briefe zurück, auf denen er Major Pontmercy tituliert wurde. Er handelte darin nicht anders als Napoléon, der auf Sankt Helena Briefe des Sir Hudson Lowe an den »General
Weitere Kostenlose Bücher