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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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Schrei antwortete aus dem Bauch des Elefanten eine Knabenstimme:
    »Ja.«
    Gleich darauf wurde ein Brett von dem Loch im Bauch des Elefanten weggezogen, und ein Knabe glitt an einem Bein des Ungeheuers herab.
    Kirikikiu galt offenbar dem Elefanten und bedeutete: Melden Sie mich Herrn Gavroche.
    »Wir brauchen dich«, sagte Montparnasse kurz, »komm!« Der Junge verlangte keine weitere Aufklärung.
    »Gut, gehen wir«, sagte er.
Schwierigkeiten bei der Flucht
    Und folgendes geschah in dieser Nacht im Gefängnis la Force.
    Babet, Brujon, Gueulemer und Thénardier hatten, obwohl Thénardier in Einzelhaft saß, verabredet, auszubrechen. Babet hatte allerdings das Geschäft am Vormittag schon auf eigene Rechnung gemacht, wie der Leser aus dem Gespräch zwischen Montparnasse und Gavroche entnommen hat. Montparnasse sollte den anderen von außen helfen.
    Brujon, der einen Monat in verschärfter Haft gesessen hatte, war inzwischen tätig gewesen; er hatte einen Strick geflochten und einen Plan ausgeheckt. Früher wurden Sträflinge, die sich gegen die Disziplin vergangen hatten, in verließartigen Einzelzellen untergebracht, die aus vier Steinmauern, einer Decke aus Stein und einem Pflaster aus Fliesen bestanden, vergitterte Luken und doppelte Eisentüren hatten und nur mit einem Feldbett möbliert waren; aber diese Einzelzellen wurden schließlich allzu grausam gefunden. Jetzt bestehen sie aus einer doppelten Eisentür, einer vergitterten Luke, vier Steinmauern, einer Decke aus Stein und einem Boden aus Steinfliesen; möbliert sind sie item mit einem Feldbett. Unterschied gegen früher: jetzt heißen sie nicht Einzelzellen, sondern Strafzellen.
    Gegen Mittag fällt sogar in diese Räume ein wenig Licht. Der Nachteil, den diese Einsperrung bietet, besteht darin, daß die Strafzellen, die – wie gesagt – Gott bewahre keine Einzelzellen sind, den Häftling zwar nicht zur Arbeit anhalten, ihn aber zum Sinnieren bringen.
    Die Folge war, daß Brujon die Strafzelle im Besitz eines Strickesverließ. Und da er für so gefährlich galt, daß ihn der Leiter des Hofes Charlemagne nicht haben wollte, brachte man ihn in den Neubautrakt, der Bâtiment-Neuf genannt wurde. Hier fand er zunächst Gueulemer, dann einen Nagel vor: Gueulemer, das bedeutete ein neues Verbrechen, der Nagel – der versprach die Freiheit.
    Brujon hatte seinerzeit seine Karriere als Dachdecker begonnen. Diese Vorkenntnisse kamen ihm jetzt um so mehr zunutze, als zur Zeit das Schieferdach des Gefängnisses ausgebessert wurde. So war der Hof Saint-Bernard nicht mehr vom Hofe Charlemagne und Saint-Louis getrennt. Auf den Dächern gab es Leitern und allerlei Gerüst – oder, von einem anderen Gesichtspunkt aus gesehen, Brücken und Treppen.
    Das Bâtiment-Neuf enthielt in vier Stockwerken vier übereinanderliegende Schlafräume und schließlich einen Giebel, der Bel-Air genannt wurde. Ein Rauchabzug führte aus dem Erdgeschoß, vielleicht aus einer früheren Küche, durch alle vier Stockwerke zum Dach, wo er in einem abgeplatteten Pfeiler auslief.
    Gueulemer und Brujon schliefen im selben Saal. Vorsichtshalber hatte man sie im Erdgeschoß untergebracht. Es war Zufall, daß die Kopfenden ihrer Betten an den Kamin stießen.
    Thénardier saß, gerade über ihnen, in dem Giebelraum Bel-Air.
    Wenn der Spaziergänger in der Rue Culture-Sainte-Catherine, hinter der Kaserne der Feuerwehr, vor dem Tor des Badehauses stehenbleibt, sieht er sich einem Hofe gegenüber, in dem in allerlei Kübeln Pflanzen gezogen werden und in dessen Hintergrunde ein kleiner, weißer Rundbau mit grünen Fensterläden sichtbar wird. Dieses Haus gleicht einem bukolischen Traum Rousseaus. Und doch stieg vor kaum zehn Jahren hinter diesem Rundbau eine gewaltige kahle, schwarze Mauer auf, an die er gelehnt war.
    Es war die Mauer des Rondenweges um die Force.
    So hoch diese Mauer auch war, wurde sie doch von einem noch schwärzeren Dach überragt – dem Giebel des Bâtiment-Neuf. Man konnte sogar mit freiem Auge die vergitterten Luken des Giebels und den Schornstein sehen.
    Bel-Air, der Giebel des »Neubaues«, war ein großer, in Mansarden geteilter Raum, der durch dreifache Gitter und doppelte, eisenbeschlagene Türen versichert war. In einem der Käfige dieses Giebelraums war seit der Nacht des dritten Februars Thénardier untergebracht.
    In vielen Gefängnissen gibt es verräterische Beamte, die halb Kerkermeister, halb Verbündete der Häftlinge sind und den Gefangenen bei ihren

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