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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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weniger verstehen, als sie sichtlich von den Tränen der Kleinen erstickt wurden. Der Barbier wandte sich zornig nach ihnen um, ohne das Rasiermesser wegzulegen, schob den Älteren mit der linken Hand, den Jüngeren mit dem Knie hinaus und schlug hinter ihnen die Tür zu.
    »Um nichts und wieder nichts bringen sie die Kälte da herein!« schrie er.
    Die beiden Kinder marschierten weiter. Der Himmel hatte sich bewölkt, es begann zu regnen.
    Der kleine Gavroche war den beiden nachgegangen.
    »Was habt ihr denn, ihr?«
    »Wir wissen nicht, wo wir schlafen sollen.«
    »Ist es das? Na, keine große Sache! Darum weint man noch lange nicht. Seid ihr blöd!«
    Nachdem er solchermaßen seine Überlegenheit zum Ausdruck gebracht hatte, nahm er einen sanften Gönnerton an.
    »Kommt mit, ihr Rangen.«
    Die beiden folgten ihm, wie sie einem Erzbischof gefolgt wären. Schon hatten sie aufgehört zu weinen.
    Gavroche stieg die Rue Saint-Antoine hinan und wandte sich nach der Bastille.
    Ein Frauenzimmer, das die drei, einen immer kleiner als den anderen, im Gänsemarsch daherkommen sah, lachte laut auf. Es läßt sich nicht leugnen, daß dieses Lachen respektlos war.
    »Tag, Fräulein Omnibus!«
    Offenbar hatte der Friseur ihn so kriegerisch gestimmt. EinePortierin mit einem Bart, die eben mit dem Besen in der Hand vor dem Haustor stand, begrüßte er:
    »Wollen gnädige Frau ausreiten?«
    Dann trat er in eine Lache, daß die Lackschuhe eines Passanten über und über bespritzt wurden.
    »Lausbub!« schrie dieser wütend.
    »Haben der Herr eine Beschwerde? Das Büro ist schon geschlossen. Morgen, bitte.«
    Sie kamen an einem Bäckerladen vorbei.
    »Jungens, habt ihr schon gegessen?«
    »Seit heute morgen nicht.«
    »Habt ihr keine Eltern?«
    »Doch, wir haben Mama, aber wir wissen nicht, wo sie ist.«
    »In manchen Fällen ist das besser, als wenn man es weiß«, versicherte Gavroche nachdenklich. »Ihr habt also eure Erzeuger verloren. Ihr wißt nicht genau, wo ihr sie liegengelassen habt. Das soll man nicht. Man soll besser auf die Erwachsenen aufpassen. Aber jetzt wird die Sache mit dem Essen dringlich.«
    Er suchte in seinen Hosentaschen und fand schließlich einen Sou. Ohne den Kleinen Zeit zu lassen, sich über diesen grandiosen Fund zu entzücken, bugsierte er die beiden in den Bäckerladen, legte seinen Sou auf den Tisch und rief:
    »Junger Mann, für fünf Centimes Brot!«
    Der Bäcker – es war der Inhaber des Ladens – nahm ein Brot und ein Messer.
    »In drei Stücken, junger Mann«, fuhr Gavroche würdevoll fort, »wir sind nämlich drei.«
    Der Bäcker streifte die drei mit einem Blick, nahm ein Stück Schwarzbrot und setzte das Messer an. Jetzt legte Gavroche den Finger an die Nase, als ob ihm ein bedeutsamer Gedanke käme. So hat Friedrich der Große eine Prise Tabak genommen! Dann fragte er den Bäcker:
    »Was ist denn das?«
    »Sehr gutes Brot, Brot zweiter Klasse.«
    »Schwarzer Hundekuchen«, sagte Gavroche verächtlich. »Ich verlange Weißbrot, junger Mann. Ich habe die Herren dazu eingeladen.«
    Der Bäcker mußte lächeln und betrachtete, während er das Weißbrot anschnitt, die drei Jungen auf eine Art, die Gavroche irritierte.
    »Eh, Sie Semmelkonditor, paßt Ihnen vielleicht etwas nicht?«
    Als das Brot abgeschnitten war, kassierte der Bäcker den Sou, und Gavroche sagte zu den beiden Kindern:
    »Pampft euch voll!«
    Dann, als er sah, daß die Jungen ihn erschrocken anblickten:
    »Ach, richtig, sie sind ja noch klein, sie verstehen das noch nicht«, voll Würde: »eßt, Kinderchen.«
    Und da der Ältere ihm der Anrede würdiger schien, überreichte er ihm das größte Stück und sagte: »Stopf dir das in den Verschluß.«
    Sie waren hungrig, und wer lange Zähne hat, versteht zuzubeißen.
    Dann setzten die Kleinen den Weg zur Bastille fort.
    Als sie die Rue des Ballets erreichten, aus deren Hintergrund das Gefängnis feindlich herüberdrohte, rief plötzlich eine Stimme:
    »Holla, bist du es, Gavroche?«
    »Ach, Montparnasse!«
    Der andere hatte blaue Brillen aufgesetzt, aber Gavroche erkannte ihn gleich.
    »Holla!« rief Gavroche, »du hast ja blaue Brillen wie ein Doktor? Sehr stilvoll, weiß Gott.«
    »Still«, flüsterte Montparnasse, »nicht so laut.«
    Rasch zog er Gavroche aus dem Lichtkegel eines Schaufensters. Mechanisch folgten die beiden Kleinen.
    »Weißt du, wo ich hingehe?« fragte Montparnasse.
    »Dir die Hanfkrawatte anmessen lassen.«
    »Quatschkopf! Ich gehe zu Babet.«
    »Ich dachte,

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