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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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beworfen. An der Porte Saint-Martin wurde ein Schutzmann durch einen Degenstich verwundet. Ein Offizier der Zwölfer sagte ganz laut: »Ich bin Republikaner!« Die Studenten des Polytechnikums brachen das Verbot ihrer Lehrer und schlossen sich dem Zug an. Man begrüßte sie mit dem Rufe: »Es lebe das Polytechnikum, es lebe die Republik!« Bei der Bastille schlossen sich Neugierige, die aus der Vorstadt Saint-Antoine herbeiströmten, dem Zuge an, und die allgemeine Erregung stieg auf den Siedepunkt.
    An der Austerlitzer Brücke hielt der Zug. Es bildete sich ein Kreis um den Leichenwagen. Die Menge schwieg. Jetzt hielt Lafayette eine Rede und grüßte Lamarque. Es war ein erhabener und rührender Augenblick. Alle Köpfe wurden entblößt, alle Herzen schlugen höher. Plötzlich erschien ein schwarzgekleideter Mann zu Pferde, der eine rote Fahne trug. Andere behaupteten, es sei eine Pike gewesen, auf der eine phrygische Mütze hing. Lafayette wandte sich ab, Exelmans verließ den Leichenzug.
    Die rote Fahne löste stürmische Begeisterung aus und verschwand in der Menge. Unter allgemeinem Jubel wurde der Leichenwagen über die Austerlitzer Brücke und Lafayettes Equipage auf den Quai Morland gezogen.
    Unter der Menge, die Lafayette begrüßte, wurde ein Deutscher namens Ludwig Snyder (Schneider) allgemein bemerkt und begrüßt, der später, hundertjährig, starb und der 1776 unter Washington bei Trenton und unter Lafayette bei Brandywine gekämpft hatte.
    Jetzt setzte sich auf dem linken Ufer die Munizipalgarde in Bewegung und sperrte die Brücke, während auf der rechten Seite die Dragoner den Quai Morland forcierten. Die Menge, die Lafayettes Wagen zog, brach in wildes Geschrei aus:
    »Die Dragoner kommen!«
    Im Schritt rückten die Dragoner schweigend, Pistolen und Säbel bereit, mit düsterer Miene heran.
    Zweihundert Schritt vor der kleinen Brücke machten sie halt. Lafayettes Wagen fuhr ihnen entgegen, sie öffneten ihre Reihen, ließen ihn durch und schlossen sich wieder. In diesem Augenblick stieß die Menge auf die Dragoner. Frauen zogen sich zurück.
    Was geschah in diesem verhängnisvollen Augenblick? Niemand vermag es zu sagen. Es war, als ob zwei Wolken aufeinanderstießen. Manche erzählen, daß vom Arsenal herüber zum Angriff geblasen wurde, andere behaupteten, ein junger Bursche habe einen Dragoner mit dem Dolch verletzt. Tatsache ist, daß plötzlich drei Schüsse fielen. Der erste tötete den Schwadronschef Cholet, der zweite eine taube Alte, die in der Rue Contrescarpe gerade das Fenster schloß, der dritte verbrannte einem Offizier die Epauletten. Eine Frau schrie: »Sie fangen zu früh an!« Plötzlich sah man drüben auf dem Quai Morland eine Schwadron Dragoner, die in der Kaserne geblieben war, mit gezückten Säbeln über den Boulevard Bourdon heranstürmen und die Menge vor sich hertreiben.
    Jetzt war die Entscheidung gefallen. Der Sturm brach aus, Steine flogen, die Gewehre knatterten, viele Menschen stürzten sich in die Seine, um sich schwimmend zu retten. Man riß Pfähle aus der Erde, Pistolen knallten, schon wuchsen die Barrikaden aus dem Boden, Karabiniere eilten herbei, die Menge strömte nach allen Seiten auseinander. Überall wird geschrien: »Zu den Waffen! Zu den Waffen!«
    Dort flüchtet die Menge, hier leistet sie Widerstand. Die Wut trägt die Rebellion nach allen Richtungen, wie der Wind das Feuer.
Aufruhr
    Noch war keine Viertelstunde vergangen, als sich bereits an etwa zwanzig Stellen von Paris ungefähr folgendes vollzogen hatte.
    In der Rue Ste.-Croix de la Bretonnerie treffen sich etwa zwanzig junge Männer, die lange Bärte und langes Haar tragen, dringen in einen Laden ein, kommen gleich darauf mit einer schwarzbeflorten Trikolore heraus. An ihrer Spitze marschieren drei, von denen einer ein Gewehr, der andere einen Säbel, der dritte eine Pike trägt.
    In der Rue des Nonaindières bot ein dickbäuchiger, kahler, gemütlicher Bürger den Passanten ganz offen Patronen an.
    In der Rue Saint-Pierre Montmartre trugen Männer, die ihre Arme entblößt hatten, eine schwarze Fahne, auf der mit weißen Buchstaben geschrieben stand: »Die Republik oder den Tod!« Überall tauchten Fahnen auf, die in goldenen Buchstaben das Wort Sektion und eine Nummer zeigten. Eine dieser Fahnen war rot und blau mit einem schmalen weißen Streifen dazwischen.
    Man stürmte am Boulevard Saint-Martin eine Waffenfabrik, ferner drei Läden von Waffenschmieden. In wenigen Minuten griffen tausend

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