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Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo
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hierher zu bestellen, wenn es dir erst besser geht, aber das kommt ja nur in Romanen vor, daß plötzlich junge Mädchen an den Betten von Verwundeten erscheinen. Was sollte die Tante davon denken? Noch dazu warst du die ganze Zeit fast nackt, mein Bester. Frage nur Nicolette, die keinen Augenblick von deiner Seite gewichen ist, ob das ein Anblick für eine anständige Frau war. Und der Arzt? Mit jungen Mädchen heilt man das Fieber nicht. Na, sprechen wir nicht weiter darüber, es ist ja erledigt. Da siehst du, was für ein Dickschädel ich bin. Ich habe wohl gemerkt, daß du mich nicht leiden konntest. Was soll ich nur tun, dachte ich, daß dieses dumme Geschöpf anfängt mich zu lieben? Na, da fiel mir deine Cosette ein.Die werde ich ihm geben, dachte ich mir, dann wird er schon zu Verstand kommen. Du dachtest natürlich, der Alte würde zu schreien und zu schimpfen anfangen – beileibe nein! Cosette: bravo! Verliebt? Mit Vergnügen! Nichts, was mir lieber wäre! Belieben der Herr, sich nur möglichst rasch zu verheiraten. Sei glücklich, so gut du kannst!«
    Der Greis begann zu schluchzen. Er nahm Marius’ Kopf in die Hände, drückte ihn an sich – und jetzt weinten beide.
    »Vater!« rief Marius.
    »Also du magst mich doch leiden?« rief der Alte.
    Beide konnten nicht sprechen. Schließlich stammelte der Greis:
    »Jetzt ist alles gut, er hat Vater zu mir gesagt.«
    Marius sagte sanft:
    »Vater, ich fühle mich jetzt wohl, mir scheint, ich könnte sie wiedersehen.«
    »Das ist schon geplant. Morgen.«
    »Warum nicht heute?«
    »Gut, heute. Du hast Vater zu mir gesagt, das verdient eine Belohnung, ich werde es schon so richten. Mag man sie holen. Diese Geschichte ist nicht neu, sogar in Versen ist sie schon einmal geschrieben worden. In der Elegie vom ›jungen Kranken‹ von André Chénier – von diesem André Chénier, der von den Schur…, wollte sagen von den Riesen von 1793 … also, der ermordet …«
    Gillenormand glaubte zu bemerken, daß Marius leicht die Stirn runzelte. Das war ein Irrtum, denn der junge Mann dachte in diesem Augenblick überhaupt nicht an 1793. Der Großvater aber, der jetzt vollkommen die Fassung verloren hatte, fuhr fort:
    »Das heißt, ermordet ist ja nicht das richtige Wort. Tatsache ist nur, daß die genialen Führer der Revolutionäre, die ja Gott bewahre keine schlechten Leute waren, sondern natürlich Helden, daß die es also unangenehm empfanden, André Chénier in ihrer Mitte zu sehen, und darum ließen sie ihn ein bißchen guill…, wollte sagen, im Interesse des öffentlichen Wohls haben diese großen Männer am 7. Thermidor André Chénier ersucht, ein klein wenig zu …«
    Gillenormand erstickte an seiner eigenen Rede. Er konnte sie weder herunterschlucken noch herausbringen. Mit einer Geschwindigkeit, die durchaus nicht seinem Alter angemessen war, stürzte er aus dem Zimmer, warf die Tür hinter sich zu, eilte, puterrotvor Wut, mit hervorquellenden Augen die Treppe hinunter und stand plötzlich dem braven Basken gegenüber, der im Vorzimmer die Stiefel putzte. Er packte ihn am Kragen und schrie außer sich:
    »Hunderttausendkreuzteufel, diese Schufte haben ihn umbringen lassen!«
    »Wen?« fragte Baske tief erschrocken.
    » André Chénier.«
    »Allerdings, gnädiger Herr«, bestätigte Baske fassungslos.
Mademoiselle Gillenormand tröstet sich darüber, daß Herr Fauchelevent bei seinem Besuch etwas unter dem Arm trägt
    So sahen sich Cosette und Marius wieder.
    Wir müssen darauf verzichten, diese Begegnung zu beschreiben. Es gibt Dinge, die sich der Schilderung entziehen.
    Mit Cosette war ein Mann gekommen, ein Greis mit weißen Haaren und ernsten Zügen. Das war Herr Fauchelevent: Jean Valjean.
    Er war sehr gut angezogen, wie der Pförtner schon bemerkt hatte, trug einen neuen, schwarzen Anzug und ein weißes Halstuch.
    In Marius’ Zimmer blieb er bescheiden an der Tür stehen. Unter dem Arm trug er einen Gegenstand, der wie ein in Papier eingeschlagenes Buch in Oktavformat aussah.
    »Hat der Herr immer solche Bücher unter dem Arm?« fragte Fräulein Gillenormand leise Nicolette, denn sie konnte Bücher nicht leiden.
    »Mein Gott«, meinte ebenso leise Gillenormand, der sie gehört hatte, »er ist eben irgendein Privatgelehrter. Ist das ein Fehler? Boulard, den ich noch gekannt habe, ging nie ohne ein Buch aus, immer drückte er so eine Schwarte an das Herz.«
    Dann begrüßte er mit lauter Stimme den Gast.
    »Herr Tranchelevent …«
    Gillenormand änderte

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