Lesebuch für Katzenfreunde
Fell war zottig und verklebt, und sie war nur noch ein Skelett. Aber in Dittos Augen hatte sie nichts von ihrer Schönheit verloren. Er sah die bezaubernde Doeby, die unnahbar hinter der durchsichtigen Öffnung in der Behausung der Besitzer saß, und seufzte. Eine Veränderung spürte er allerdings: Doeby hatte vor nicht allzu langer Zeit Kinder gehabt.
»Nicht weit von hier im Westen gibt es Wasser«, sagte Solo, als er glaubte, daß sie wieder aufbrechen konnten. »Wir bringen sie dorthin – sie brauchen Wasser und Graille, ehe wir uns auf den Rückweg zum Berg machen können.«
Seidon schnupperte in die Luft. Er entdeckte keinen Wasser-Rack, zweifelte jedoch nicht daran, daß Solo das Wasser spürte. »Woher weiß unser Dom das alles?« fragte er und sah dabei Ponder und die anderen fragend an.
»Du wirst dich daran gewöhnen«, antwortete Ponder trocken.
Kurze Zeit später entdeckten sie das Wasser in einer kleinen Schlucht. Die Geretteten waren so entkräftet, daß sie zwei Tage am Wasserpfad verbrachten, wo es gute, versteckte Ruheplätze gab. Die elf Barden gingen auf Jagd und brachten den ausgehungerten Katzen ihre Beute. Sie konnten anfangs nur sehr wenig essen, doch bald kehrten ihre Kräfte und ihre Lebensgeister zurück. Zwei waren allerdings sehr krank, und Solo fürchtete, sie würden den Rückweg vielleicht nicht überleben.
Man bedrängte keinen der Geretteten mit Fragen. Solos Gruppe hatte genug gesehen und wollte im Augenblick nicht mehr von den Besitzern und ihren Folterungen wissen. Es war alles so widerwärtig, entehrend und unglaublich, daß schon jeder Gedanke an den Alptraum Brechreiz und Übelkeit hervorrief. Wenn sie schon so unter den Eindrücken litten, wie mußte dann den Opfern zumute sein? Anstand und Mitgefühl verboten, die Armen mit Fragen zu bedrängen. Trotzdem lastete die unausgesprochene Frage nach dem Warum der Greueltaten schwer auf ihnen, während sie alles Erdenkliche taten, daß die befreiten Katzen sich allmählich wieder erholten. Aber nach und nach kamen ihre Geschichten ohne äußeres Zutun aus ihnen heraus wie zackige Dornen aus einer schmerzempfindlichen Pfote, und dann tropfte Blut, das sie alle, Befreite und Befreier, gleichermaßen schwächte.
Doeby lag neben Ditto und versuchte, etwas von dem Graille zu sich zu nehmen, das er ihr gebracht hatte, als sie plötzlich zu reden begann. Es war, als habe sie sich gerade daran erinnert und müsse es aussprechen, ehe sie es wieder vergaß.
»Es war die Nacht, in der das große Feuer in den Behausungen ausbrach. Damit fing alles an.« Sie sprach zu Ditto, aber ihre Augen richteten sich starr auf einen Punkt in der Luft. »Überall waren Flammen und Rauch, sie drangen von oben in den Bau. Meine Besitzer rannten und schrien und trugen Dinge nach draußen… sie fürchteten sich sehr, sie waren so hilflos… und das machte mir mehr angst als alles andere! Ich wollte mich verstecken, aber sie fanden mich. Danach ist alles verschwommen und durcheinander. Aber ich weiß, wir waren in einem Rauwolf, und die ganze Welt schien schneller und immer schneller an uns vorbeizufliegen. Ich rief, so laut ich konnte, und suchte nach einer Möglichkeit, mich zu befreien. Aber ich fand keine Öffnung! Meine Besitzer weinten und stießen Angstlaute hervor, besonders die kleinen. Dann weiß ich nur noch, daß mich einer packte. Ich kratzte und biß, um mich zu befreien… der große Besitzer riß mich am Nacken hoch und schüttelte mich, bis ich fey wurde… dann war ich draußen auf dem Schwarzstein, und der Rauwolf verschwand. Ich lief weiter und versteckte mich lange Zeit… ich weiß nicht, wie lange. Am Anfang war ich erleichtert, nicht mehr im Rauwolf zu sein, aber dann stellte ich fest, daß die Umgebung sich nicht wie unser Gebiet anfühlte – ich mußte weit weg vom Lager sein und kannte den Rückweg nicht. Und selbst wenn ich es schaffen würde, war da das Feuer…
Dann dachte ich an dich, Ditto. Ich wollte dich finden! Ich lief los und lief lange, lange Zeit, aber ich fand mich nicht zurecht. Ich hatte mich verirrt. Trotzdem lief ich weiter, weil ich nicht wußte, was ich sonst tun sollte. Oh Ditto, ich hatte solche Angst! So ging es zwei Nächte… oder drei? Ich war hungrig und wußte nicht, wie man sich Graille beschafft. Ich schämte mich sehr. Aber schließlich roch ich etwas zu essen. Ich folgte dem Rack zu einer kleinen Höhlung in den Büschen… als ich kurz vor dem Graille war, hörte ich hinter mir einen lauten
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