Lesebuch für Katzenfreunde
mandelförmig, und Lucinda war stolz auf sie.
»Das sagst du immer, Lucinda, und es macht mich ganz verrückt. Einmal muß ich wissen, wo ich stehe.«
Sie kam aus dem Ankleideraum in ihrer Straßenkleidung. In dem handgefärbten Baumwollrock bot sie einen bezaubernden Anblick. Außerdem wand sich eine verdrehte, regenbogenfarbige Schärpe durch ihr silbernes Haar.
»Laß mich nicht zu lange warten«, stöhnte er.
Er führte sie in ein bekanntes Restaurant, das vor allem Meeresfrüchte servierte. Lucinda erschauerte, als sie die Themse sah, die dunkel an der Terrasse vorbeifloß. Sie wandte sich vom Fluß ab. Sie wollte es trocken und warm haben.
»Können wir drinnen essen?« fragte sie und schlang ihren Arm durch den seinen. »Mir ist ein bißchen kühl.«
Sie bestellte einen Garnelencocktail und ließ den Salat liegen; dann Seezunge, wobei sie das Gemüse nicht anrührte; schließlich Erdbeeren mit Schlagsahne; die Erdbeeren schaute sie nicht an. Marc sagte nichts. Das war wohl irgendeine neue Schlankheitsdiät. Modelle befolgten stets irgendwelche Diäten.
»Könnte ich noch ein bißchen Sahne haben?« fragte Lucinda, als der Dessertwagen vorbeirollte. Der Kellner, von ihrem Lächeln bezaubert, goß ihr reichlich Sahne über die Beeren. »Herrlich«, murmelte sie zufrieden.
Nach dem Essen ging es ihr besser, und sie dachte nicht mehr an ihr schreckliches Erlebnis. Sie rollte sich in ihrem Bett zum Schlafen zusammen; sie spürte Marcs Küsse noch warm auf ihren Lippen.
Aber als sie am Morgen die Dusche aufdrehte, schoß derselbe elektrische Schock durch sie. Das Wasser erfüllte sie mit Entsetzen, obwohl sie nicht naß wurde. Es prasselte lediglich zu Boden und verschwand durch den Abfluß. Nichts konnte sie dazu bewegen, sich darunterzustellen. Sie wickelte ein Handtuch um ihren Arm, ehe sie mit der Hand zu den Hähnen griff und das Wasser an der Quelle abstellte. Sie lehnte sich gegen den Rand des Waschbeckens, den Kopf gesenkt, tief atmend. Sie konnte diese Furcht nicht verstehen. Diesmal waren keine Flöhe im Spiel. Vielleicht war es eine Allergie. Das kam bei Meeresfrüchten häufig vor, und sie hatte ziemlich viel gegessen. Sie erinnerte sich plötzlich an die Muscheln. Ja, es mußten die Muscheln sein. Mit einem feuchten Flanelltuch erfrischte sie einstweilen Gesicht und Körper. Sie fand heraus, daß sie das Tuch langsam und schwungvoll zum Abreiben verwenden mußte; dann hatte sie weniger Angstgefühle. Lange bürstete sie ihr Haar; sie wagte nicht, es zu waschen.
An diesem Abend führte Marc sie zu einer Premiere im Drury-Lane-Theater aus. Es waren viele Stars da, aber die lebhafteste Aufmerksamkeit galt Lucinda. Sie sah in ihrem Satinkleid im Stil der dreißiger Jahre, mit wallenden Straußenfedern geschmückt, hinreißend aus. Ein mit glitzernden Steinen besetztes Kopfband hielt ihr Haar von der Stirn zurück, und lange, funkelnde Gehänge baumelten von ihren winzigen Ohren.
Sie rührte den geeisten Wodka nicht an, den er ihr in der Bar brachte. Irgend etwas an seinem Geschmack störte sie.
»Liebes, ich habe in Cannes für einen Monat eine Villa gemietet. Kommst du mit? Es wäre ein wunderbarer Ort für Flitterwochen. Bitte überleg es dir… Du hast in letzter Zeit so hart gearbeitet.« Lucinda dachte während der ersten Hälfte des Musicals über alles nach. Sie saß im Dunkeln und feilte geistesabwesend ihre langen Nägel. Sie wollte keine Entscheidung dieser Art treffen, obwohl sie Marc liebte. Sie brauchte ihre Freiheit und Raum zum Atmen. Die Vorstellung, an jemand gebunden zu sein – selbst an jemand, den sie so innig liebte –, machte ihr das Herz schwer. Es würde wie im Gefängnis sein; ihr starker, unabhängiger Geist würde ihr genommen.
In der Pause ging das Licht an, und Lucinda blinzelte. War sie eingeschlafen? Marc nahm ihre Hand.
»Ein fabelhaftes Musical. Möchtest du noch einen Drink? Ich habe an der Bar deinen Lieblingswodka bestellt.«
»Könnte ich statt dessen ein Eiskrem haben?« fragte sie.
»Es könnte wundervoll sein in Cannes«, sagte Marc beim Gutenachtkuß. »Den ganzen Tag schwimmen…« Lucinda unterdrückte ein Schaudern. Nein, nein, mit Cannes würde es nichts. »Und fischen. Wir könnten die selbstgefangenen frischen Fische grillieren…« Das klang schon besser.
Sie konnte nicht schlafen. Sie stand hellwach in der Küche ihrer Wohnung, die Finger in einem Topf Krabbenpaste. Sie leckte geistesabwesend und sorgenvoll ihre Finger ab. Diese Abneigung
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