Lesebuch für Katzenfreunde
bückte sich, um es zu fangen. »Komm! Komm zu mir! Ich tu dir nichts, armes Ding!« rief sie. Es zauderte nur einen Augenblick – dann sah es Gideon, der sich mit verzerrtem Gesicht nach ihm bückte – und sprang in Leahs Arme. Aber der Tumult war so groß, und die Kinder waren so ungebärdig, daß es auf ihren Armen in Todesängsten fauchte und kratzte und mit seinen Zähnen nach ihr schnappte. »Aber! Aber! Du armes Ding!« rief Leah. Sie hielt das sich krümmende Tier, das offenbar viel schwerer und muskulöser war, als es der skelettartige Körper andeutete, ganz fest und ließ es nicht wegspringen, sondern raunte ihm etwas zu, als wäre es ein Baby, obwohl sie auf den Armen und Wangen aus einem Dutzend Striemen blutete. Delia, Leahs Mutter, erschien in einem langen schwarzen Gewand in der Halle, hatte den kleinen, beinah kahlen Schädel mit einer durchsichtigen schwarzen Nachthaube bedeckt und rief »Leah! Setz das Ding hin! Hörst du – setz das Ding sofort hin !« Sie versuchte Leah zu packen, aber Leah schnellte weg; Gideon versuchte, Leah das Tier aus den Armen zu reißen, aber sie gab nicht nach, sondern sagte: »Warum quält ihr das arme Ding? Warum seid ihr so grausam?« Sie hielt das zappelnde Geschöpf von sich weg, aber es hieb noch immer auf sie ein, und jetzt zeigten sich häßliche rote Striemen auf ihren Schultern und sogar an einer ihrer weißen, festen, herrlichen Brüste – der Anblick mußte ihren Mann rasend machen. »Oh, jetzt wirst du aber unartig!« rief Leah mit merkwürdig frohlockender Stimme. »Willst du etwa, daß ich dich bestrafe?«
»Um Gottes willen, Leah, laß mich das Ding beseitigen!« sagte Gideon.
Aber wenn Leah sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, ließ sie sich durch nichts überreden.
Sie hob das Geschöpf langsam hoch über ihren Kopf, so daß die dreschenden Krallen sie nicht dauernd trafen. Die Muskeln ihrer prachtvollen Arme und Schultern strafften sich. Indem sie dem Tier noch weiter zuraunte, konnte sie es allmählich beruhigen und schließlich seinen Kopf kraulen. »Armes Ding, armes, nasses, frierendes, eingeschüchtertes Ding, hast du Hunger? Möchtest du gefüttert werden und am Feuer schlafen? Du kannst ja nichts dafür, daß du so häßlich bist, nicht wahr?«
Sie ließ es sinken und schmiegte es in ihre Arme, doch noch immer zitterte es krampfhaft. »Bist ein armes, verlassenes Ding, wie wir alle«, flüsterte sie.
So war das also gewesen, als Mahalaleel im Schloß Bellefleur erschien: Leah hatte ihn gerettet und ihn nach hinten in die Küche getragen, wo ein Feuer brannte, und fütterte ihn mit Milch und Resten aus der Bratpfanne und Speckkruste und Hühnerknochen. An allem knabberte er ohne große Begeisterung und zitterte unaufhörlich, während die Augen in dem kantigen, knochigen Kopf rattenhaft hin- und herflogen und der knöcherne, alberne Schwanz schlaff hinter ihm auf dem Fußboden lag. Dann trocknete sie ihn, hüllte ihn in ein großes Handtuch und flüsterte dabei: »Jetzt bist du rasch warm, jetzt bist du geborgen, niemand kann dir was zuleide tun«, und achtete nicht auf ihren Mann und ihre Mutter, die sie anflehten, ihre Wunden zu behandeln. Gideon starrte die Striemen und das glitzernde Blut an, und das Herz wurde ihm schwer; seine Blicke verdunkelten sich, und er spürte – ach so schmerzlich spürte er es –, wie seine Seele fast den Leib verlassen wollte, denn seine schöne junge Frau, seine Kusine Leah, die Mutter seiner Zwillinge, die er so sehr liebte, daß es fast nicht zum Aushalten war – wollte ihm nicht gehorchen! Dem ganzen Nautauga-Tal flößte er Respekt ein, es gab keinen Mann in der Umgebung, der sich ihm zu widersetzen wagte, aber seine eigene Frau – seine eigene Frau – bot ihm ständig Trotz, und was konnte er ausrichten? Er liebte sie, es machte ihn krank, so verzweifelt war er ihretwegen, und er hätte ihr den knochigen, zitternden Mahalaleel am liebsten aus den Armen gerissen und ihm mit einem einzigen geschickten Griff das Genick umgedreht, wenn er sicher gewesen wäre, daß es einen Unterschied gemacht hätte: Und das mußte Mahalaleel, der ihn heimlich unter silberweißen Wimpern hervor anstarrte, geahnt haben.
»Komm schlafen, Leah«, sagte Gideon müde.
Die anderen hatten sich zurückgezogen. Im Haus herrschte jetzt Ruhe. Sogar der Sturm hatte nachgelassen. Ob der Morgen bald graute? Leah reckte sich; vor Behagen hatte sie die Augen halb geschlossen, und ihr Körper vibrierte wie ein Fischleib, als
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