Lesereise Abu Dhabi
Aus einst vier Giraffen sind heute mehr als fünfzig Tiere geworden. Jedes Jahr werden vier bis acht Jungtiere geboren. Doch der eigentlich Schatz der Insel ist ein anderer.
Der Wüstensand flirrt, der Wind zerrt an den Büschen, als wir das Heiligtum der Insel betreten oder besser: befahren. Das teuerste Gut von Sir Bani Yas liegt gut verborgen: oben hinter einem gusseisernen Tor, das zwei erwachsene Männer kaum aufstemmen können. Dort, wo die Asphaltstraße längst aufgehört hat, sich zwei unscheinbare Feldwege kreuzen und ein paar Palmen im Wind wehen. Wir holpern in ein Gehege. Noch rührt sich nichts. Doch dann: Gegen die mittlerweile hoch am Himmel stehende Sonne zeichnen sich dunkle Silhouetten wie Scherenschnitte ab. Zuerst zwei Hörner, dann vier, dann schälen sich die mächtigen Leiber zweier Oryxantilopen aus dem Sand. Schnell werden aus zwei Tieren zwanzig, dann fünfzig, dann hundert.
Die Arabischen Oryxantilopen sind das Vorzeigeprojekt der Scheichs. Sie gehören zu den seltensten Antilopenarten überhaupt. In Zoos dieser Welt werden sie für teures Geld gehandelt – zu hunderttausend Euro das Stück. 2008 lebten in Tierparks gerade mal neunhundert Exemplare. Allein auf Sir Bani Yas sind es heute mehr als fünfhundert. »Die größte Population weltweit, diese Tiere sind der Schatz dieser Insel«, sagt Lars Nielsen, der uns an diesem Morgen begleitet. Nielsen ist blond, groß gewachsen und PR -Mensch auf Sir Bani Yas. So etwas brauchen die Scheichs, seit immer mehr Menschen aus der ganzen Welt auf dem winzigen Eiland eintreffen, um zu bestaunen, was es hier zu sehen gibt.
Die spinnen, die Scheichs, denkt sich mancher angesichts von Antilopen im Wert von vielen Millionen Euro, die hier mal eben so herumstehen. Und sie haben noch nicht ausgesponnen. Dieser Eindruck verfestigt sich, wenn man Nielsen zuhört. So haben die Nachkommen des 2004 verstorbenen Zayed 2009 Geparden, Schakale, Hyänen und Karakale in den Tierpark entlassen, berichtet der Däne. Ihre Vision: die Natur wieder so herzustellen, wie sie einmal war. Mit dem ewigen Wettstreit von Jäger und Gejagtem: Antilope frisst Gras, Raubkatze frisst Antilope und so weiter. »Die Geparden fressen die Antilopen, und die Schakale und Hyänen räumen später das auf, was übrig bleibt.« Dieses Ansinnen könnte die Scheichs teuer zu stehen kommen angesichts des Stückpreises einer Oryxantilope. Doch Nielsen wiegelt ab: »Die Tiere sind viel zu groß für Geparde.« Grundsätzlich aber solle es hier schon sein wie im richtigen Leben. »Wir müssen für eine natürliche Selektion sorgen, sonst wird die Antilopenpopulation zu groß.«
Wie im richtigen Leben ist Sir Bani Yas nur annähernd. Denn der auf dem Reißbrett entstandene Safaripark ist nahe dran, ein Traum zu sein. Und der Touristenstrom nimmt zu. Im ersten Jahr nach der Eröffnung des Arabian Wildlife Parks zählte die Insel siebzehntausend Gäste, im zweiten bereits dreißigtausend. Tendenz steigend. Das im Oktober 2008 eröffnete Desert Islands Resort and Spa der thailändischen Hotelkette Anantara wird auch bald nicht mehr das Einzige auf der Insel sein, denn zwei weitere Luxusunterkünfte sind schon in Planung. Neu ist auch eine Reitschule, ein Tauchcenter und ein Jugend-Outdoor-Camp sowie ein Konferenzzentrum für fünfhundertsechzig Gäste.
Kein Ort eignet sich nach einem Safaritag besser, um das Gesehene Revue passieren zu lassen, als das Desert Islands Resort and Spa. Ein großartiges Gefühl ist das, wenn man am Abend nach der Millionen-Euro-Safari die verstaubten Klamotten abstreift, den Bademantel überzieht und über die langen Flure ins Spa huscht. Dann liegt man bei offenen Fenstern da, die Masseurin reibt einem den Rücken abwechselnd mit Dattel- und Aloe-Vera-Öl ein, und draußen hängt der Mond wie eine Sichel am Himmel. Man könnte Stunden hier im Kerzenschein liegen, in den Sternenhimmel starren und vom alten Grzimek träumen. Doch, beinahe unbemerkt, wiegt einen das sanfte Walken der Hände in den Schlaf.
Fabian von Poser
Jenseits der Antilopen
Was nach Sir Bani Yas kommt: Von gewagten Projekten, großen Plänen und dem richtigen Maß an Verantwortung
Die Schildkröten haben gewonnen. Ihr Zuhause ist gerettet. Die Seevögel haben gesiegt – und dabei nicht mal geahnt, welche Veränderung ihnen bevorgestanden hat. Sie alle können hier weiter ungestört brüten – die Reptilien, die wie angeschwemmte Grüße aus der Urzeit mit viel zu kurzen Beinen langsam den
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