Lesereise Abu Dhabi
kennen.«
Er fährt sich mit der rechten Hand über den Bart, nimmt noch einen Schluck kochend heißen Minztee mit viel Zucker, zupft seine schneeweiße Djellaba zurecht und erzählt: »Diese Wüste ist mein Zuhause – früher ganz und gar, heute zumindest auf Zeit. Und immer im Geiste. Sie wird es mein Leben lang bleiben. Ich bin oft hier draußen. Einfach aus Freude. Und jedes Mal ist genauso wie damals, wie vor dreißig Jahren an der Seite meiner Eltern, als ich klein war und hier im Sand aufwuchs. Wir spielten Fangen zwischen den Dünen, fuhren Achterbahn, und der Wagen war dabei der eigene Körper, wenn wir Anlauf nahmen und die Sandberge mit Karacho hinunterrutschten. Wir ahnten nicht, dass es anderswo wirkliche Achterbahnen gab, die auf Schienen fuhren. Und wir träumten nicht mal davon, dass es so etwas eines Tages auch in unserer Hauptstadt geben würde.«
Ali al-Mansouri hat den extremen Zeitsprung, den seine Heimat gemacht hat, binnen nur anderthalb Generationen am eigenen Leib miterlebt. Die Orientierung verloren hat er dabei nicht – nicht als Mann der Wüste, der es gewohnt ist, keine Spuren zu übersehen und überall einen Weg zu finden. Auch den zwischen den Zeiten. Und sogar den zwischen den Welten.
Zu Hause ist er in beiden. Seine zwei Handys sind immer griffbereit, sein Zelt steht in der Wüste, seine Villa mit Pool in Abu Dhabi Stadt. Wenn er die Welt aus Sand verlässt, steigt er um in seinen Sechshunderter-Mercedes, der so lange am Rande der Asphaltstraße auf dem Grundstück einer Überlandraststätte geparkt hat. Wenn er zu seiner Kamelfarm zwischen den Dünen will, sitzt er im Toyota Landcruiser. Und wenn er weiter hinein will in diese gewaltige Wüste, dann steigt er wieder um auf den Rücken eines Dromedars. »Es ist wichtig, überall zu Hause zu sein und sich zurechtzufinden«, sagt er. »Es erleichtert das Leben. Und es macht es vielfältiger.«
Jene Täler dieser fast roten Dünen in der Rub al-Khali, übersetzt bedeutet der Name »das leere Viertel«, waren einst das Wohnzimmer der Ahnen. Der Sand war ihr Sofa, ein ausgebreitetes Tuch aus dunkelrotem Stoff mit eingewebten Mustern der Tisch, der Sternenhimmel die Abendbeleuchtung. Nur der Wind kam zu Besuch, und die Ruhe regierte. An Stellen wie dieser spielen heute die Kindheitserinnerungen der Älteren, die Geschichten der Großeltern der Einheimischen in den Emiraten, sogar die Märchen. Sie selber sind längst fast alle in klimatisierte Villen umgezogen, und Nomaden gibt es hier nicht mehr.
Orientiert haben sie sich zwischen all dem Sand wie auf dem Meer. »Wir haben die Karawanen nach den Sternen navigiert«, erzählt Ali al-Mansouri. »Und wenn du dich hier auskennst, hier aufgewachsen bist, dann bietet dir die Farbe des Sandes Hilfestellung, so wie der Seemann etwas aus der Farbe des Wassers über Tiefen und Untiefen und Strömungen herauslesen kann. Alle Dünen hier sind nach Süden ausgerichtet. Und die Grenze zu Saudi-Arabien erkennen wir an einer Pflanze, die schon immer nur dort wuchs und die wir al-Haz nennen.«
Heute zieht es viele der reichen Emiratis aus den ultramodernen Küstenstädten an den Wochenenden mit der ganzen Familie zum Ausflug zurück in die Wüste – und mit ihnen inzwischen auch die Urlauber aus der Ferne, die immer auf der Suche nach etwas Neuem sind. Nur möchte möglichst keiner mehr seinen Komfort missen. Da geht es ihnen wie den Urlaubern. Und so ließ Scheich Khalifia bin Zayed al-Nahyan, Herrscher von Abu Dhabi, mit Multimillionenaufwand von fünftausend Bauarbeitern binnen nur drei Jahren genau dort ein Traumhotel errichten, wo man am wenigsten damit rechnen würde: weit im Hinterland seines Emirats zwischen bis zu zweihundert Meter hohen Dünen, ganz im Stil einer alten Beduinenfestung aus Lehm, mit Wachtürmen, Torbögen, mit kühlen Gängen, mit Brunnen. Und abweichend von der Tradition mit allem Luxus. Mit Pools und Feinschmeckerrestaurants, mit Spa und Bar. Die Fantasieburg in den Dünen der Rub al-Khali nahe der Liwa-Oasen und über zwei Autostunden von Abu Dhabi Stadt entfernt hat tagsüber fünf Sterne und nachts all die Abermillionen am Wüstenhimmel.
Bauen kann man so etwas nur, wenn Geld keine Rolle spielt und Kosten-Nutzen-Rechnungen unwichtig sind. Was der Herrscher konstruieren ließ, ist kein Disneyland im Sand geworden, kein Plastikschloss in der Heimat der Väter. Vielmehr wurde auf jedes Detail geachtet, nur das beste Material verbaut. Die Mühe hat sich gelohnt: Ein
Weitere Kostenlose Bücher