Lesereise - Afrika
Manchmal höre ich durch das offene Fenster das Lachen der Dominospieler. Nun ist Zauberstunde, nun verzaubert Afrika.
Und Hany, der verzaubert ebenfalls. Weil er in Luxor zusteigt und wir beide beim Schaffner einen Tee bestellen und miteinander zu reden anfangen. Was auf diesem Kontinent nichts anderes heißen soll, als gerade so lange zu reden, bis der andere, der Afrikaner, mit einer Geschichte loslegt. Und Hany, der Garagenbesitzer und Mechanikermeister, legt los.
Vor einem guten Jahr schlug ihm ein Freund vor, »ein sogenannter Freund«, in den Sudan zu gehen, um dort (billiger) Gold zu kaufen und zurück nach Ägypten zu schmuggeln. Warum nicht? Sie besorgen sich das Gold – genauer, Hany zahlt die gesamten hunderttausend ägyptischen Pfund – und machen sich auf den Weg zurück zur Grenze. In der letzten Nacht verschwindet der Freund plötzlich. Spurlos. (Warum? Kalte Füße? Machenschaften?) Allemal unerfreulich, denn der Abtrünnige hatte versprochen, den Übergang landesüblich zu regeln: Seine Spezis, die Zöllner, zu informieren, die Höhe des Schmiergelds festzulegen und die Uhrzeit auszumachen, zu der ein Grenzwechsel am reibungslosesten stattfinden könnte. So erreicht Hany allein den Grenzposten. Und zielsicher findet ein Zollbeamter – uninformiert – die zehn Marlboroschachteln, in denen das Gold verstaut ist. Natürlich ist der Mann nicht über den Inhalt informiert, glaubt einen harmlosen Tabakschmuggler vor sich zu haben. Und schnorrt eine Packung, als Wegegeld sozusagen. Hany fiebert, liebend gern hätte er ein Päckchen herausgerückt, wenn es sich nur um zwanzig lausige Zigaretten gehandelt hätte. Aber strahlendes Gold liegt da verborgen, also sagt er nein. Und die Absage stinkt dem Mann, er durchsucht genauer, zwei Minuten später fliegt der Schwarzhandel auf.
Da wir noch immer in Afrika sind, kommt es zu einer eher menschlichen Lösung. Der Zöllner bietet dem Schmuggler an, alles Gold dazulassen, dafür wolle er gezielt danebenschießen, wenn Hany versuchen sollte, sich im Sprint der Strafverfolgung zu entziehen. Hany kennt sich aus, mit nichts als Hemd und Hose am Leib rennt er Richtung Ägypten, während hinter ihm wilde Schüsse in die Luft krachen. Nach einem tagelangen Fußmarsch findet er einen barmherzigen Busfahrer, der ihn nach Kairo schafft. Hany ist ein Held der Leichtigkeit, begleitet von schweren Lachkrämpfen, bringt er die letzten Sätze heraus. Denn was wären zehn Zigarettenschachteln Gold gegen die Aussicht, zehn Jahre in einer sudanesischen Zuchthauszelle zu schmoren?
Um halb drei morgens Ankunft in Assuan, südlichste Stadt Ägyptens, letzte Station vor dem Sudan. Als mich Rashad in Empfang nimmt und gleich wissen lässt, dass er der beste Taxifahrer im gesamten Oberniltal sei, weiß ich, dass mir der Ort guttun wird. Und der Dicke hat wahr gesprochen, noch auf dem Weg zum Hotel schenkt er mir einen Blick auf sein Leben. Dreißig Jahre lang hat er ohne Frau gelebt, dann zweiundzwanzig Jahre mit einer. Nun sei sie gestorben: »Zwei Tage nach Ramadan trank sie ein Glas kaltes Wasser, dann war sie tot.« Sonst weiß der Witwer nichts von den Ursachen ihres Todes. Fragt auch nicht danach, meint, dass wohl alles seine Richtigkeit habe. Er reicht mir sein »Golden Book« (in diesem Land schwören sie auf goldene Bücher), das dritte in diesem Jahr, auch das bald voll mit enthusiastischen Kommentaren überwältigter Kunden. Als wäre das nicht genug, lässt Rashad noch wissen, dass er sieben Kinder großgezogen hat. Alle »rechtschaffen«. Vor dem Hoteleingang fragt er noch: »What’s the challenge?« Da ich keine Kinder habe, steht er vor einem Rätsel. Denn nichts fordere mich heraus, no challenge. Ohne Nachwuchs leben, ohne das Bewusstsein, dass andere meinen Namen tragen werden, das scheint ihm ein Satz von einem anderen Planeten. Meinen Hinweis, dass ich, nachdem ich gestorben bin, ja unaufhörlich tot bin, mir also egal ist, ob auch weiterhin mein Name auftaucht, diesen Hinweis lässt Rashad nicht gelten. Wenn ich ihn recht verstanden habe, wird er nicht tot sein, sondern schaut voller Rührung vom Paradies herab auf seinen Nachwuchs, der mehrmals pro Tag vom guten, guten Rashad spricht.
Ins kleine Zimmer, tagsüber hat es hier fünfunddreißig Grad, nachts wahrscheinlich zwei Grad weniger. Überlebenshilfen: Duschen, ungetrocknet ins Bett legen, zwei Minuten frieren, eine Minute den angenehmen Körper spüren, dann schwitzen, dann warten, bis der Strom für
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