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Lesereise - Afrika

Lesereise - Afrika

Titel: Lesereise - Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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Betritt man eine Stadt der Dritten Welt, verbessert sich nach ein, zwei Tagen die Situation. Die Anmache lässt nach. Weil man den Gang des Fremden verliert, man geht irgendwann wie einer, der sich auskennt. Die größte Schwachstelle – das Fremdsein – verschwindet. Bin ich in Bestform, wird mir einer wie vor Jahren ein Kompliment machen und sagen: »You behave like an African. You don’t behave big.«
    Abends finde ich einen »teashop«, setze mich so, dass ich das Fernsehgerät im Rücken habe, will lesen. Safwat, der liebe Besitzer, denkt, ich hätte mich aus Versehen ungünstig platziert, und manövriert das Gerät in meine Blickrichtung. Damit mir nichts entgeht. Schon berührend. Ich versuche, mir einen deutschen Restaurantbesitzer vorzustellen, der einen Fernseher durch den Raum trägt, damit ein Ägypter komfortabler zuschauen kann.
    Um Safwat nicht zu kränken, bedanke ich mich und versuche, mit verdrehten Augen zu lesen. Witzigerweise verrücken die meisten Gäste ihre Stühle, um dem Schwarz-Weiß-Kasten hinterherzuziehen. Eine unfassbare Sucht. Um so unfassbarer, als »The Iron Company« läuft. In Englisch gedreht, mit arabischen Untertiteln. Da die Mehrheit nicht lesen und kein Englisch kann, sind die Filme so konstruiert, dass die kurzen (bedrohlichen) Dialoge nicht länger als fünfzehn Sekunden dauern. Damit den roten Faden – noch ein Blutbad, noch ein Totschlag, noch eine Ballerei – nichts aufhält und er blutrot und totschlagend und ballernd zu seinem Ende kommt.
    Ich kann nicht anders, als mich an eine Meldung aus den siebziger Jahren zu erinnern: Die Franzosen und Engländer waren dabei, ihre Concorde-Maschinen zwischen Europa und Amerika einzusetzen, und die amerikanische Regierung überlegte, ob Überschall-Flugzeuge nicht auch eine gute Idee für Langstreckenflüge innerhalb des Landes wären. Statt sechs Stunden für die Strecke New York–Los Angeles zu brauchen, eben nur die Hälfte, glatte hundertachtzig Minuten gewonnen. So wurde eine groß angelegte Umfrage gestartet, um herauszufinden, was die Passagiere mit der eingesparten Zeit tun würden. Wir wissen die Antwort längst: in die Röhre glotzen. Also traf man zwei Entscheidungen: Eine weise, sprich weltschonende, sprich keine »supersonic aircrafts« einzusetzen. Und eine debile, sprich das menschliche Hirn noch intensiver lahmlegende, sprich die Installation erster »cajas idiotas« (»Idiotenkisten«, so heißen sie in Mexiko) in den Boeing-Jumbos anzukurbeln.
    So gibt es nun doch eine ewige Wahrheit: dass das Leben der vielen, ob nun in Amarillo oder Assuan oder Hinterindien gleich fad und ereignisleer ist, im Kopf und außerhalb des Kopfes. Und dass die vielen nur noch einen Fluchtpunkt kennen: das in den Schnarchtod treibende Stieren auf ein rechteckiges Ding, das flimmert. »So sieht sie aus«, meinte Allen Ginsberg einmal, »die Missionarsstellung des modernen Analphabeten: hocken und konsumieren.«
    Auf dem Weg zurück komme ich an den Armeen junger Männer vorbei, die in Cafés sitzen oder flanieren oder an den Geländern der Trottoirs lehnen. Wie morgens, wie mittags, wie jetzt kurz nach dreiundzwanzig Uhr. Weil sie keine Arbeit finden. Und keiner anderen Beschäftigung nachgehen müssen, als Zeit totschlagen. Wann werden sie erkennen, dass sie um alles betrogen wurden?
    Zwei Häuser neben meinem Hotel steht eine junge Frau und weint. Die Lampe über der Haustür leuchtet auf ein attraktives Gesicht. Wie ein solches Bild überrascht. Ich kann mich nicht erinnern, je in der arabischen Welt einer Frau begegnet zu sein, die weinte. Wie unberührbar sie aussieht. Als beschützten sie die Tränen vor jeder Annäherung. Was könnte ich sagen? Wo die genau richtigen Worte hernehmen. Träten wir beide in einem Film auf, dann würde ich jetzt jenen Satz wissen, der sie besänftigte. Und wir würden uns kennenlernen in einer dunklen Seitengasse im fernen Assuan. Aber wir zwei treten im tagtäglichen Leben auf. So gehe ich still an einer Frau vorbei, die weint. Und die Weinende lässt mich still an ihr vorbeigehen.
    Der nächste Tag beginnt lehrreich. Beim Frühstück im verschlungenen suq kommt ein Soldat auf mich zu und fragt, ob ich ihm helfen könne. Rugal zeigt mir vier Blatt, voll mit je zwei Spalten Wörtern und Wendungen, links arabisch, rechts englisch. Er würde in ein paar Wochen nach Rafah versetzt werden, dem Grenzposten auf der Halbinsel Sinai, und wolle seinen Wortschatz auffrischen, den er als Junge(!) in der

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