Lesereise - Afrika
Entspannung verschaffen. Und natürlich sage ich ja, weil Tahar Geld verdienen muss und ich nicht recht haben will.
Nach fünfundzwanzig Ecken kommen wir an. In einem Neubauviertel, wo schon beim Richtfest die Rohbauten verwittert aussehen. Wir halten vor einer angerosteten, weit offenen Tür, dahinter liegt die »Bar«, fünfzehn dustere Quadratmeter mit Tischen und Stühlen. Eine Stiege führt nach oben, zu den Zimmern. Tahar spricht ein paar Worte mit einer Frau, die neben dem Eingang auf einem Stuhl sitzt. Augenblicklich sei »closed«, aber abends sei »open«. Ich solle auf jeden Fall eine Flasche Whisky mitbringen.
Dass der Herr mir beistehe und diese Unternehmung verhindere. Desinteressierte Weiber, die sich abwesend und alkoholblöd auf den Rücken legen und »fang schon an« lallen, solche Begegnungen sollte man einmal hinter sich bringen. Um zu wissen, dass es sie gibt. So habe ich leider recht. In moslemischen Ländern funktionieren derlei Vergnügungen nicht. Zu viel Wut, Drangsalierung, zu viel Todsündengeruch verleumden die Sexualität, als dass sie an solchen Örtlichkeiten ohne gegenseitige Verachtung und Kälte stattfinden könnte.
Pech für Tahar, der sogleich umsichtig vorschlug, mich zum Spirituosen-Schwarzhändler zu transportieren. Ich muss absagen. Dafür lade ich ihn ein ins nächste Café und erzähle ihm die einzig lustige Bordellgeschichte, die mir in einem arabischen Land widerfuhr. Ausgerechnet in Algerien. Allerdings Jahre vor dem Ausbruch der Massaker.
Ich kam nach Tlemcen, im Nordwesten des Landes, nicht weit weg von der Grenze zu Marokko. Eine Stunde später lernte ich Abdel kennen, einen blitzgescheiten Journalisten. Nach dem Abendessen fuhr er mich durch die Stadt. Was ich ausgesprochen großzügig fand. Denn Abdel war homosexuell und hätte uns gern in einem gemeinsamen Bett gesehen. Als ich ihm bedauernd zu verstehen gab, dass ich meine homoerotische Phase bereits hinter mir hätte, entzog er mir keinen Augenblick seine Freundschaft. Im Gegenteil, spontan bot er mir an, mich zum hiesigen Bordell zu bringen. Denn er war fest davon überzeugt, dass nicht vieles mehr zur Erhaltung des Friedens unter den Völkern beitrage als regelmäßig beschäftigte Geschlechtsteile.
Zwei Straßen vom Stadtzentrum entfernt lag – wie unglaublich aufrichtig – »la maison hônnete«, das ehrliche Haus. Unglaublich und verwirrend zugleich, denn »hônnete« heißt auch »sittsam, anständig«. Als ich die Gesichtskontrolle passiert hatte, wurde klar, dass beides stimmte.
Drei Großmütter, vormals selbst im Einsatz, führten die Geschäfte. Die Männer warteten im Erdgeschoss, hinter vier Türen arbeiteten die Huren. Sechs, sieben Minuten lang, dann kamen sie wieder heraus, legten flüchtig ein Handtuch über den bloßen Leib und verhandelten flüsternd mit dem nächsten Kunden. Handel musste sein. Auch wenn die paar Minuten zuletzt immer fünfzig Dinar, keine vier Euro, kosteten.
Ein ruhiger Abend. Sarafina, die Älteste, drehte mit dem Schlagstock ihre Runden und sorgte souverän für Ordnung. »Faîtes la queue!«, stellen Sie sich an, rief sie barsch. Die zwei Dutzend Männer gehorchten und grinsten. Denn wörtlich übersetzt lautete der Befehl: »Machen Sie den Schwanz.« Die beiden anderen Omis saßen im Wohnzimmer und sahen fern. Durch die offene Tür winkten sie mich herein. Es gab Tee. Und die Erinnerungen aus dem Leben zweier betriebsamer Ladys. Anstellen wollte ich mich nicht. Ein Quickie zwischen hundert anderen Quickies, das schien mir etwas hastig. Aber die Stimmung war gelöst, leicht, keiner hielt Moralpredigten und keiner fühlte sich schuldig.
Ich bleibe in dem Viertel, Tahar scheppert davon. Ich musste ihm noch einen Plan zeichnen, um nicht das besagte Haus zu verfehlen. Sollte sich Algerien je so weit beruhigen, dass einer sorglos ein Puff betreten darf, ohne hinterher enthauptet zu werden, dann wolle er nach Tlemcen aufbrechen.
Die Entscheidung, zu Fuß zurück zum Zentrum zu gehen, war richtig. Nichts Besonderes begegnet mir, nur ein Wunder. In Gestalt eines Mannes, der – während Anrainer hurtig Abfall aus ihren Fenstern auf die noch nicht geteerte Straße werfen – mit seinem Sack Kehricht auf dem Rücken nach der Müllabfuhr sucht. Und den Kipper findet und schweißgebadet den Sack ablädt. Erhebend: Einer ist anders, einer widersteht den Gesetzen der Schwerkraft.
Mir geht es gut, keiner kommt mehr nachgelaufen, um mir etwas anzudrehen. Das passiert oft.
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