Lesereise - Afrika
Auf dem Weg dorthin haben sich die Todfeinde vorgenommen, die sudanesische Bevölkerung auszurotten. Das erledigen sie nicht ungeschickt. Hunderttausende Flüchtlinge und über zwei Millionen Tote – viele Soldaten, viel mehr Zivilbevölkerung – pflastern ihren Weg.
Arthur Rimbaud schrieb vor mehr als hundert Jahren über den Sudan: »Schlechte Nahrung, ungesunde Häuser, alle vorstellbaren Probleme, Langeweile, ununterbrochenes Toben und Rasen. Man wird schnell alt hier.«
Wir fahren weiter, trotz Protesten von vielen, die eine längere Pause verlangen. Unsere letzte Nachtfahrt vor Khartoum. Und, nur drei Handbreit entfernt, unsere allerletzte. Der Fahrer, erschöpft von der brachialen Marathonstrecke, schläft ein. Der Lkw bricht links aus, runter den Abhang. Unsere Schreie und das fast gleichzeitige Glück, abrupt und mit dem Heck nach oben im Sand stecken zu bleiben. Eine weitere halbe Raddrehung und der Laster mit zweiundvierzig Mann auf offener Ladefläche hätte sich überschlagen. Vorsichtig kriechen wir herunter. Dann drei Stunden schaufeln, dann drei Stunden schlafen. Und früh auf, um noch vor acht die Hauptstadt zu erreichen. In Omdurman, dem riesigen Vorort, mitten im Lybia Suq , steigen wir ab. Wir sind dreckig und stinken vor Müdigkeit, froh und herzlich nehmen wir voneinander Abschied. Als Abdullah mich umarmt, drehe ich für einen Augenblick mein Gesicht weg. Keiner soll wissen, wie nah mir der Alte ist, seine warme, umsichtige Autorität, wie beschützend. Hätte ich die Wahl, so einen Vater würde ich mir aussuchen.
Das lausige Khartoum, ein Staubloch. Ich irre umher. Sogar die durchgewetztesten Betten sind belegt. Warum? Der für das Meridian Hotel zuständige Spitzel gibt Auskunft: »There is a conference about a new strategy for Sudan.« Das kann dauern. Beim vierzehnten Versuch bekomme ich ein Zimmer mit Ventilator in einer Absteige. Ich sehe aus wie ein Schwein. Mein wundes Steißbein schürft. Mittags lege ich mich hin, kurz vor 21 Uhr wache ich auf. Die Straßen sind leer und leise, ein Hund hinkt nach Hause. Von elf Uhr nachts bis vier Uhr früh herrscht Ausgangssperre.
Es heißt, dass Allah bei der Erschaffung des Landes gelacht und geheult hat. Schon möglich. Sicher ist, so höre ich manche flüstern, dass er beim Bau von Khartoum zu fluchen begann. Vier Tage bleibe ich. Dazwischen werde ich etwas erfahren von den Abgründen hiesigen Lebens. Und den eigenen Feigheiten.
Die Flucht, die Rückkehr, auf nach Chicago
Das war die stärkste Szene im Film: Einer fällt vom Kamel, bleibt liegen, droht zu verdursten. Lawrence von Arabien erfährt davon und kehrt zurück in die Hitze der saudi-arabischen Wüste, um den Mann zu suchen. Er findet ihn und bringt ihn zurück. Als er durch das Lagertor reitet, schreit ihm ein Freund entgegen: »Du bist wahnsinnig. Es steht geschrieben, dass niemand lebend aus dieser Hölle zurückkehrt.« Und T. E. Lawrence, der englische Schriftsteller, tippt sich leicht an die Stirn und sagt lässig: »Nothing is written, until it’s written in here.«
Der Satz liegt ganz oben in meinem Marschgepäck. Lawrence hat ihn aufgeschrieben. Und ich brauche ihn. Als Kraftstoff, als Herzschrittmacher in schwachen Stunden. Von anderer Menschen Leben retten ist bei mir nicht die Rede, bin froh, wenn ich selber heil davonkomme. Knapp tausend Kilometer Sudanwüste liegen bereits hinter mir, weitere tausendsiebenhundert warten noch. Und es passiert das, was ich befürchtete. Mein Herz sackt ab, ich werfe das Handtuch und nehme ein Taxi zum Flughafen. Zu schlecht, zu gefährlich klingen die Nachrichten, die ich zusammengetragen habe. Meine Chancen, über den Landweg in die Zentralafrikanische Republik zu gelangen, sind mäßig. So höre ich es von jedem. Zwei Weiße werden auf der Strecke bereits vermisst. Ich will wegfliegen, will weg.
Eine Piste habe ich in diesem Land nie zu Gesicht bekommen. Weil ich auf halbem Weg umdrehte. Lawrence fiel mir ein und mein feiges Herz, das ich so nicht aushalte. Und das plötzlich unwiderrufliche Verlangen, mir zu vertrauen und nicht denen, die nein sagen und dagegenreden. Und einen zweiten Grund gibt es: Die Erinnerung an bisherige Erfahrungen mit den Sudanesen, jenen geduldigsten, jenen freundlichsten Männern und Frauen, denen ein Fremder begegnen kann.
Der nächste Tag wird zu einem nervenzerfetzenden Andenken dieser Reise. Ich will ihn genau protokollieren, weil er in seiner Einmaligkeit und Banalität Einblicke gewährt in ein
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