Lesereise - Afrika
kommt wieder eine Stunde, in der alles heilt. Es gibt die Stille am Fluss, das Knarren der hundert Jahre alten Segelboote, das Teefeuer, die Silhouette der Männer vor dem hellen Abendhimmel, die Brise über der Haut, das leichte Herz.
Hinterher muss bezahlt werden. Die Wüste, die für alles berechnet. Wieder fahren wir bis zwei Uhr früh und diesmal gibt der jaulende Motor dreiundvierzig Mal darüber Auskunft, dass wir festsitzen, sprich: absteigen, freischaufeln, neben dem keuchenden Laster herrennen und sechs, sieben Mal die fünfzehn Kilo schweren Sandbleche hochreißen und vor die Hinterreifen werfen. Andere laufen voraus und trampeln die Spur glatt. Zuletzt aufspringen und zehn pannenlose Minuten den Schweiß im Fahrtwind kühlen.
Der dritte Tag beginnt heiter. Wir stecken in einer Kamelherde, und Abdullah, der Chef der Händler, fragt mich, ob in Deutschland die Kamele genauso groß seien wie im Sudan. Und ich höre mich ohne zu zögern antworten: »Ja, genauso groß, vielleicht sogar größer.« Aber Abdullah lacht nicht, nickt nur anerkennend, so als wollte er sagen: Erstaunlich die Deutschen, sogar ihre Kamele sind groß.
Wir durchqueren den Bayuda Desert, glühend, bloß, bewegungslos. Wüsten sind Lieblingsgegenden. Die Leere macht leer und stark. Als wäre nun Zeit, das Hirn zu sortieren und Prioritäten herauszufinden. Als besäße man plötzlich den Mut, die Welt und die Dinge einen Augenblick ohne Namen zu lassen. Als wäre man einverstanden, hemmungslos einverstanden.
Wir kommen nach Omar Hassan. Ein paar Unterstände aus Stroh, eine Feuerstelle, ein Esel zieht den Wassereimer aus einem sechzig Meter tiefen Loch. Mittagspause, wie immer während der intensivsten Hitze. Die mitgebrachte Ziege abladen. Als sie trinken soll, verweigert sie. Und schluchzt, als begriffe sie endlich, dass ihre Zeit vorbei ist. Sekunden später steckt das Messer in ihrer Gurgel, einer reißt den Kopf nach hinten, das Genick bricht. Die Haut abziehen, ausnehmen, übers Feuer hängen. Wir essen alle aus einer Schüssel.
Und die Männer diskutieren, ob sie beim nächsten Polizeiposten alle Waren angeben sollen. Laut Koran, sagen sie, sei es verboten, die Unwahrheit zu sagen. Sie einigen sich trotzdem darauf, einen Teil nicht zu melden. Einer sagt: »Das Leben ist schwer genug.« Das ist ein guter Satz, er löst ein Gefühl von Verbundenheit und Brüderlichkeit aus.
Später, im Schatten des Strohdachs kommt die Rede auf scharia , wörtlich: »Gottes Gesetz«. Juntachef Al Bashir verehrt noch immer Khomeini und träumt von einem rabiaten Fundamentalismus. Dazu gehört die Anwendung einer Gesetzgebung, die, so ihre Verfechter, der Herrgott – in dem Fall der arabische Herrgott – persönlich festgelegt hat. Ein paar Kostproben: vierzig Peitschenhiebe bei Trunksucht, Handabhacken bei Diebstahl, Steinigen bei Ehebruch. Tarig erzählt von einer Hinrichtung, bei der er anwesend war. Der Ehebrecher musste ein Loch schaufeln und sich hineinstellen. Nur der Kopf ragte heraus. Nicht lange, dann zertrümmerte der Henker mit einem Granitbrocken den Schädel.
Warum sich Al Bashir gerade die sanften Sudanesen für seine maßlosen Kreuzzüge ausgesucht hat, bleibt sein Geheimnis. Während unseres Gesprächs sehe ich Tarig und die anderen scheu lächeln. Das ist ihr einziger Kommentar. Sie halten sich bedeckt. Schlecht reden über das Regime ruiniert die Gesundheit.
Der Stabsgeneralleutnant ist nicht der einzige Fehlposten. Das Land verfügt über alle Ingredienzen, um permanent abzustürzen: niedergemachte Wälder, Überschwemmungen, Dürre, Heuschreckenraubzüge, Ratteninvasionen, galoppierende Bevölkerungszunahme, sechzig Prozent Analphabeten, fallende Baumwollpreise. Und es finanziert einen Krieg, einen sich fast fünfzig Jahre – von ’72 bis ’83 funktionierte ein Waffenstillstand – hinziehenden Bürgerkrieg: Der mehrheitlich christlich-animistische Süden kämpft gegen die Diskriminierung – siehe scharia – von Seiten des überwiegend moslemischen Nordens.
Soweit die Stammtischversion. Hinter dem Weihrauchgeleier einer unchristlich barbarischen Soldateska – offiziell als »Sudan People’s Liberation Army« berüchtigt – und dem Gejohle der »National Islamic Front« nach Allah verbergen sich knallharte, Billionen Dollar fette Interessen. Die zwei fettesten: Öl und die Macht über die Wasser des Nils. Wer beides besitzt, kann auf beide – Allah und den lieben Gott – verzichten. Er ist der König von Afrika.
Weitere Kostenlose Bücher