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Lesereise - Afrika

Lesereise - Afrika

Titel: Lesereise - Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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Satz von Sir Kitchener ein, jenem Offizier, der Ende des 19. Jahrhunderts Khartoum für die Queen Victoria zurückeroberte. Eines Tages kabelte er nach London: »Das Essen ist lausig, die Hitze schier unerträglich, der Gegner ohne Erbarmen. Aber immer noch besser als ein Sonntagnachmittag in England.«
    Ich darf mich ein paar Stunden entspannen, dann kommt der Abend und wieder surrt die Adrenalinkeule. Ich gehe am Nil entlang, biege rechts ab zum »People’s Palace«. (Faustregel: Immer da, wo das Volk in Schweineställen lebt, besitzt es einen Palast.) Als ich an einem Seiteneingang des Bunkers vorbeikomme, stürzen zwei schreiende Soldaten heraus, preschen auf mich zu, wirbeln drei Meter entfernt noch einmal um die eigene Achse, stoppen und stehen – Schnellfeuergewehr und Bajonett in Hüfthöhe auf mich angelegt – still. Inzwischen habe ich die Hände oben und sage automatisch Sahare Hotel. Mit Ausrufezeichen, so als wäre ich auf dem Weg dorthin. Sofortige Abrüstung. Sie kommen auf mich zu, zeigen mir die Richtung, ich passiere, ich transpiriere.
    Einige Hausecken weiter lauert wieder jemand. Er sieht mich näherkommen und tritt aus dem flackernden Schatten einer kaputten Straßenlampe. Aber er gellt nicht, zückt keine Waffen, spricht nur seidig und sanft. Muchtar, ein achtzehnjähriger Boy, der Boys liebt. Sein Angebot ist zart und übersichtlich: »We touch and talk.«
    Ich kehre rechtzeitig zurück in mein Hotel. Die verhängte Ausgangssperre einzuhalten fällt nicht schwer. Wohin ausgehen? Nachts ist es hier so ärmlich wie am helllichten Tag. Doch die letzte Stunde des Tages bringt kleine Einsichten. Ich liege unter dem Ventilator und lese den New Horizon , die einzige englische Zeitung am Ort, vier Blättchen, einmal die Woche. Da steht unter »Boxing«, dass Herausforderer und Titelverteidiger nach ihrem nächsten Weltmeisterschaftskampf im Superschwergewicht zusammen hundert Millionen Dollar nach Hause tragen werden. Das trifft sich gut. Vor Kurzem las ich in einer Statistik, dass siebenundzwanzig Millionen Sudanesen keine zwei US -Dollar verdienen. Pro Tag. Deshalb liegt der jährliche Energieverbrauch eines Amerikaners bei siebentausendsechshundertfünfundfünfzig Kilogramm »Öleinheiten«, der eines Sudanesen bei achtundfünfzig, also hundertzweiunddreißig Mal weniger. Andersherum: Was der eine in dreihunderfünfundsechzig Tagen verbraucht, genügt dem andern gerade zweiundsiebzig Stunden. »So ist es«, kommentierte Mahatma Gandhi einmal die Welt, »und so ist es falsch.«
    Ein nächster Tag. Jeder Reisende sollte einen heiteren Blick auf die hiesigen Zustände werfen. Um bescheiden und duldsam zu werden. Und vielleicht vorher das englische Wort »finished« auswendig lernen, er wird es brauchen:
    »Pepsi Cola?«
    »Finished.«
    »Shave?«
    »Finished.«
    »Room?«
    »Finished.«
    »Newspaper?«
    »Finished.«
    Aber es gibt den mutigen Osman, den Taxifahrer. Wir sind auf dem Weg nach »Chicago«, als sein Mobil – angeblich nur siebenundzwanzig Jahre alt – in einem größeren Schlagloch landet. Qualm verlässt die Kühlerhaube. Und Osman, der Mutige, pumpt wie von Sinnen das Gaspedal, während wir im Rückspiegel zwei dicke Polizisten auf uns zuwetzen sehen, autoritär in ihre Trillerpfeifen blasend. Und Osman pumpt, und die Dicken wetzen, und im vorletzten Augenblick rumpeln wir aus dem Loch und knattern in die nächste Seitenstraße. Das ist Osmans Stunde, zwei gefräßigen Ordnungshütern davonfahren, das gelingt ihm nicht jeden Tag. Als ich ihn frage, ob er nicht Angst hat, dass die beiden sein Nummernschild notieren haben, lacht Osman verschmitzt: »Number? Finished!«
    Ich mag Chicago. Das ist ein Verhau von Hütten, wo Flüchtlinge aus Nigeria, Uganda, Tschad und Kenia hausen. Das Viertel gilt als besonders kriminell, deshalb der Name. Ich finde Terence aus Kampala, er hat seinen »Beauty-Salon« – eine Blechwand, eine Blechschüssel, einen Spiegel – vor Ort wieder aufgebaut. Seltsamerweise wird hier fast alles geschmuggelt, nur keine Rasiercreme. So reibt der sechsfache Familienvater mein Gesicht mit Seifenlauge ein und skalpiert mit einem zuletzt in seiner Heimatstadt geschliffenen Messer meine Haut. Job, ein Mechaniker, kommt vorbei, sieht das Massaker und führt mich in seine Lehmbude. Ich könne jetzt sicher ein Gläschen aragi vertragen. Er zeigt auf den selbst gebastelten Destillierapparat in der Ecke. Ich mag seine Ironie und schütte den scharfen Dattelschnaps in mich

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