Lesereise - Afrika
spitzelt die Security!« Schneller geht nicht. Das Geld ist so wenig wert, dass ich eine Zigarrenschachtel voller Scheine nachzählen muss, um hundert Dollar zu wechseln. Draußen lungern schon die Schuhputzer. Kinder, die in zersägten Benzinkanistern ihre Bürsten herumtragen. »Shoeshine« in Wadi Halfa, das keinen Meter Asphalt besitzt.
Wie vom Fleck bewegen? Das größte Land Afrikas unterhält ein diabolisches Transportsystem. Bald wird klar: An allen Bahnhöfen, an denen ich vorbeikomme, warten keine Züge. An allen Bushaltestellen – Ausnahme Khartoum – stehen keine Busse. Irgendwie vorwärtskommen, das ist die Devise. Ich muss zweitausendsiebenhundert Kilometer vorwärts. Meine neuen sudanesischen Bekannten schütteln bedächtig den Kopf. Dann lachen sie und bestehen auf einem Willkommenstee.
Hinterher findet sich eine Lösung. Noch am Nachmittag startet ein »lorry« Richtung Hauptstadt. (Nie sagen sie »truck«, »lorry« ist britisch und Erbe kolonialer Vergangenheit.) Drei Dutzend Händler, die in Assuan Stoffe, Schuhe, Süßwaren, Plastikwaren und Haushaltsgeräte eingekauft haben, zurren ihre Ballen fest. Anschließend findet jeder in der gliederzerrenden Enge von acht Quadratmetern Ladefläche seinen Platz. Ich darf mit, sitze neben vier anderen auf dem Führerhaus des robusten, hochbeinigen Nissan, der Fahrer kassiert, Abfahrt.
Auf einer Sandpiste Richtung Süden. Kurz vor Sonnenuntergang der erste Stopp. Hände und Füße waschen, niederknien zum Gebet. Still und innig. Später tanken. Ein Mann und sein Fass bilden die Tankstelle. Das Benzin mit dem Mund ansaugen, dann den Schlauch in den Kanister stecken. Zuletzt das Fass stemmen, damit kein Tropfen verlorengeht. Weiterfahrt. Ihre schwarzen Gesichter in der mondhellen Nacht. Ich fühle mich behütet, spüre ihre Wärme. Wir arrangieren uns, tauschen die besseren Plätze gegen die elendsten, halten uns gegenseitig fest, um nicht vom Führerhaus zu segeln. Und wir reden. Sie fragen nach Deutschland, und ich erfahre Geschichten von Goldschmuggler-Karawanen und mutigen Banditen, die vierzig Tage lang durch die Wüste ins »reiche« Ägypten ziehen.
Fahrt durch nächtliche Dörfer. Die weißen Häuser und die weißen Mauern, die den Hof umgeben. Die bunt bemalten Eingänge. Von meinem Hochsitz sehe ich den Backofen und die im Freien schlafenden Bewohner. Hat der Ort einen Polizeiposten, verschwinde ich im Gedränge der anderen. Laut Weisung müsste ich mich melden, um die Security über meine Reiseroute auf dem Laufenden zu halten. Ich melde mich nicht. Das spart Zeit und lästige Fragen. Einmal werde ich »schlafend« entdeckt und liefere die sorgfältig vorbereitete Ausrede meiner »Narkolepsie«: dass es mich von Zeit zu Zeit zwangsweise überkomme, unwiderstehlich einzunicken. Eine leichte Störung im Zentralnervensystem. Die Story klingt gut, man zeigt Verständnis.
Zwei Uhr früh Stopp in Sabo. Moskitonetz aufstellen, sich hinlegen. Aber ich kann nicht schlafen. Von fern kommen helle, trällernde Mädchenstimmen. Ich habe Durst, suche und finde das Haus. Ich soll doch eintreten. Einen Sänger gibt es, einen Mann am Akkordeon, einen Blecheimer als Trommel. Leider hätten sie den (heimlichen) Whisky schon gekippt, seit Stunden trinken sie nur noch hellbraunes Nilwasser. Armer Leute glücklichster Tag, eine Hochzeit feiern sie hier.
Frühmorgens kommen wir nach Kerma. Frühstück mit Tee und Suppe. Hier ist die Reise zu Ende, der Fahrer fürchtet um seinen Wagen, der nächste Streckenabschnitt wäre noch mühsamer. Doch unser Glück hält an, ein nächster Lorry findet sich. Ich zögere noch, will auf eine andere Mitfahrgelegenheit warten. Zu deprimierend scheint der Anblick der zusammengepferchten Männer. Aber ich habe keine Wahl, sie strecken die Hände herunter und sagen: »Come with us, we are friends.« Bei neununddreißig Grad neben der Moschee geht es weiter.
Reise durch die Sahelzone. Vorbei an verrosteten Blechschildern über Grabhügel. Links und rechts liegen ein paar magere Felder, Weizen und Sorghum wachsen. Manchmal schreit der Fahrer, dann hängt ein vereinzeltes Stromkabel zu tief, wir legen uns flach. Die Sandpiste bekommt Löcher, ein halbes Tausend auf tausend Meter. Mir fällt auf, dass Schwarze heller aussehen, wenn Staub ihr Gesicht bedeckt. Während ein Weißer immer dunkler wird. Nach drei Stunden und zweiundzwanzig Kilometern erreichen wir die Fähre, die uns auf die andere Seite des Nils bringen wird. Rast.
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