Lesereise - Afrika
Mitarbeiter des Besitzers wird schwer verletzt. Sogleich nach der Metzelei – jetzt wird vieles klarer – zogen Mitglieder der Brotherhood durch Assuan, um bestimmte Kreise zu informieren.
In die Hölle oder ins Land mit dem Willkommenstee
Am nächsten Morgen reise ich ab, die Zeit drängt, Südafrika liegt weit unten im Süden. Und die herausfordernderen Länder wären noch zu bewältigen. Am Fahrkartenschalter steht: »In the name of Allah, most gracious, most merciful.« Also kaufe ich im Namen Allahs, des huldvollsten und gnädigsten, ein Ticket für die letzten dreizehn Kilometer. Der Angestellte fragt mich:
»You go to Sudan?«
»Yes, I do.«
»Don’t go, Sudan is hell.«
Um neun Uhr fünfundvierzig besteige ich die kleine Lokalbahn nach Sadd el-Ali, der Endstation. Noch zehn Kilometer Ägypten. Die dunklen Gedanken verschwinden, und plötzlich sehe ich in der zerbrochenen Fensterscheibe mein grinsendes Gesicht. Ich helle auf, Ralf fällt mir ein, der Schweizer Revolutionär, der jetzt sicher mit seinem Kamel in Äthiopien einreitet. So hatte er es geplant. Vom ersten Augenblick an mochte ich ihn. Immer wieder kreuzten sich unsere Wege in Kairo.
Ralf existierte als Einzelstück. Ein Ausbund von Widersprüchen. Er hasste die Kirche und las mir laut poetische Stellen aus dem Alten Testament vor. Und der Dreißigjährige war Revolutionär. Weil er aus Zürich kam und über kein Bankkonto verfügte. Dafür über Schulden beim Schweizer Militär. Lösegeldschulden, um keinen Wehrdienst leisten zu müssen. Kommt er zurück, muss er in den Knast, da er noch immer nicht weiß, mit welchen Franken welches Konto füllen. Bei unserem letzten gemeinsamen Tee erzählte er von einem Verkehrsunfall, der ihm vier Jahre Krankenhaus einbrachte. Und in diesen vier Jahren, so Ralf, hatte er Zeit, über sein früheres Leben nachzudenken, das »auf dem Millimeterpapier Platz gehabt hätte«. Erzählte von seinen anschließenden Kämpfen, seinen Anläufen, um endlich abzuspringen, um endlich das zu tun, was er liebte. »Nun«, fragte ich ihn, »wie hast du es dann geschafft?« Und Ralf, trocken und unwiderruflich: »Es wurde Zeit.« Ein Satz wie das Geräusch einer niedersausenden Peitsche, immer hilfreich in Zeiten des Kleinmuts und der Trägheit.
Als ich das Schiff betrete, kommt Abu, ein Sudanese, auf mich zu und sagt: »Please, have a welcome tea.« Er nimmt mich bei der Hand und lädt mich ein. Diese Szene beschreibt so wahrhaftig sein Land wie jener Satz des ägyptischen Beamten, der davon sprach, dass eine halbe Stunde später die Hölle beginnt. Bald werde ich wissen, dass die ganz normalen Sudanesen nicht vorkommen. Höllisch anstrengend sind sie. Oder wohlwollend, ja sensationell wohlwollend.
Ruhige Überfahrt über den Nassersee, jenen fünfhundert Kilometer langen See, der durch den Staudamm in Assuan entstand. Gleich schallt es »Allahu Akbar« (Allah ist auch zu Wasser der größte), ein paar beten, Mamis säugen ihre Babys, Sadiq fragt nach einer Kopfwehtablette: »Mister, please, headache, you know, Africa shit.« Irgendwann gibt es dampfende Makkaroni und einen Kübel Wasser. Und die Sonne geht unter, und der Mond geht auf. Und ich sehe das romantische Bild von still sitzenden Männern, die neben der Reling kauern, rauchen und wortlos auf das glatte, silber glänzende Wasser schauen. Als ich mich dazusetze, sagen sie: »Welcome to Sudan.« Die Kabinen sind besetzt, ich döse die Nacht über auf einem Küchentisch.
Nach zwanzig Stunden Fahrt Ankunft morgens um acht. Zehn Blechhütten stehen da, Sudan fängt an. Der Sicherheitsbeamte, eisig:
»What you want?«
»I want to see your country.«
»Why to see ?«
Ich unterdrücke die arglose Antwort: »Aus Neugier.« Das ist in einem Polizeistaat ein verdächtiger Satz. Hier haben sie Bürgerkrieg und in der Hauptstadt regiert Ahmad Al Bashir, ein Besessener. Ich rede also von meiner Wanderlust durch Afrika. Die scheint akzeptabel, er stempelt mich ab. Vier stempeln hinterdrein. Die gleichen Fragen, dieselbe Antwort.
Ich ziehe los, fünf Kilometer bis ins erste Dorf, Wadi Halfa. Flache Adobehäuser in nackter Wüste. Der staubige Wind. Drei Banken gibt es, alle weigern sich, mein Geld zu wechseln. Die Devisenerklärung müssten sie kopieren. Wenn sie das passende Gerät hätten. Ich finde Bakri, der mir in einem Lagerschuppen schwarz wechselt. Zweieinhalb Mal besser, gesetzwidrig und heimlich. Er stottert vor Stress, zischelt: »Mach schnell, überall
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