Lesereise - Afrika
der Rezeptionist, ob ich Diplomat sei. Denn für sie, die Spitzenverdiener, sei das Zimmer billiger. Mysteriöser Kontinent. Sofort bin ich Konsul. Die gesparten Kwacha machen weniger Freude als die Erkenntnis, dass ich sicher der einzige Diplomat der Welt bin, der mit einem Rucksack unterwegs ist.
Eine halbe Stunde später sitze ich im Restaurant. Ich bin rasiert, gewaschen, dünner als je und gerade dabei, seit längerer Zeit wieder satt zu werden. Der Ober bringt immer, um was ich ihn bitte, eine Tomatensuppe mit Brot, ein Huhn mit Reis, Zwiebeln und Erbsen. Als er Kaffee und Kuchen serviert, kommt ein Mann zur Tür herein, der alles entscheidet. Weil ich im selben Augenblick weiß, dass meine Reise zu Ende ist. Der Dicke schaut skeptisch und kratzt sich am gelben Frotteehut. Über seinen Bauch spannt sich ein T-Shirt mit den feuerroten Worten: »I love New York«, hintendrauf steht grün: »Acapulco, Acapulco«. Der Dicke ist der Hammel, unübersehbar, unüberhörbar schnarrt er Anweisungen Richtung Personal. Wieder geht die Tür auf und dreiundzwanzig Schafe ziehen ein. Alle lieben New York und Acapulco. Nur der Frotteehut ist weiß. Der Gelbe teilt den Weißen die Plätze zu, laut englisch schnatternd nehmen die Schafe Platz, warten auf das bereits in Birmingham bezahlte Menü.
Meine Reise ist zu Ende. Unwiderruflich. Hier in Sambia, im Nkana-Restaurant, beginnt der Wohlstand. Und mit ihm die läppischste Form allen Reisens, der Tourismus. Bis hinunter nach Kapstadt – ich ahne es jetzt und genau so werde ich es erleben – wird alles seinen reibungslosen Weg gehen. Nie mehr schlafe ich außerhalb eines Bettes. Um nichts muss ich mehr kämpfen. Um kein Stück Papaya, keinen Schlafplatz, kein Ticket, keine Permission. Nie mehr muss ich notlügen und mich davonreden. Keiner bedroht mich, keiner fordert, keiner fordert heraus, nicht einmal werde ich Angst haben. Das schwerwiegende Gefühl, mit allen Sinnen am Leben zu sein, es ist verschwunden.
André Gide notierte einmal, dass »ihm der Zwang natürlicher war als anderen die Hingabe ans Vergnügen«. Das ist ein wagemutiges Eingeständnis. Und furchterregend wahr. Gides Grausen vor dem Komfort, die nackte Panik, vom Wohlstandsgerümpel um die so bitter notwendige »émotion forte«, sprich um umwerfende und mitreißende Gefühle betrogen zu werden, seine größere Angst vor dem toten Leben als vor dem Tod, all diese Ängste, die immerhin, darf ich mit dem Meister teilen.
An diesen Abend denke ich oft an Hiroshi. Als suchte ich Schutz bei ihm. Weiß ich doch, dass er mir recht gäbe. Den dreiundzwanzigjährigen Japaner traf ich in Wadi Halfa, dem sudanesischen Grenzort zu Ägypten. Schon sechs Tage hatte er in dieser Staublunge ausgehalten. Es gab Laster nach Khartoum, aber er wollte nicht zahlen. Nicht aus Sparsamkeit, sondern um zu wissen, ob er die Kraft habe zu warten, bis ihn jemand kostenlos mitnähme. Er hatte vor, später Filme zu drehen. Und Afrika, meinte er, sei der richtige Platz, sich darauf vorzubereiten. Seine Bestimmtheit und Intensität waren ungewöhnlich, und ich fragte ihn provozierend, warum er allein reise. Denn ein einziger Japaner komme eher selten vor. Darauf Hiroshi, verächtlich: »Don’t have fire, don’t have passion.« Und Daniel, ein junger Sudanese, der an unserem Gespräch teilnahm und dem manchmal ein englisches Wort fehlte, fragte: »What is that, passion?« Und Hiroshi, stolz und schön: »It’s a fire, it’s a fire in your heart.«
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