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Lesereise Backsteinstaedte

Lesereise Backsteinstaedte

Titel: Lesereise Backsteinstaedte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristine Soden
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weitaus empfindlicher noch als in offenen Meeren.
    Neun Industriestaaten umschließen die Ostsee, zweihundert Flüsse münden in sie, siebzig Millionen Menschen leben in ihrem Einzugsgebiet, fünfzigtausend Schiffe benutzen die Ostsee jährlich als Transportweg, russische Öltanker noch gar nicht mitgezählt. Wie selbstverständlich wird sich von allen Seiten an der Ostsee bedient: mutet man ihr schlimmste Giftinjektionen zu, überfischt man sie, baut man Brücken für den wachsenden Verkehr über sie, lässt man fremde Kapitäne ohne Lotsen durch die Gewässer navigieren. Und wenn in der Hochsaison mal wieder die Algen blühen und den Ostseestrand mit ihrer Schaum-Auslegware wenig erquicklich zieren, freuen sich die Medien über eine quotenträchtige Meldung im Sommerloch. Derweil sich manch einer in seinem Wellnesshotel verwöhnen lässt. Wozu draußen baden? Gesund durch Wasser, sanus per aquam, abgekürzt SPA , funktioniert auch drinnen. Die wohltuenden Angebote, darunter sogar Sauerstofftherapien, seien jedem von Herzen gegönnt. Desgleichen ein Vitalcheck, mit dem sich herausfinden lässt, wie es um die eigenen Ressourcen bestellt ist. Nur: Sauerstofftherapien bräuchte die Ostsee auch. Mehr als dringend sogar. Denn ihre Vitalchecks, die Meeresbiologen regelmäßig vornehmen, bestätigen ständig neu: Auf einer Fläche in der Größe von Bayern existiert in der Ostsee wegen Sauerstoffmangels kein Leben mehr! Jochen Lamp, Leiter des WWF Projektbüros Ostsee in Greifswald, prägte für diese Bilanz 2008 den Begriff »Todeszonen«. Im Schlepptau von Industrie und Landwirtschaft und boomendem Tourismus kamen die ersten vor einem halben Jahrhundert auf. Seitdem breiten sie sich aus, was für viele Ostseefische heißt, dass ihnen unzählige Nahrungsmittel fehlen, die vorerst auch nicht wiederkehren. Ein Heilmittel gegen die Luftnot der Ostsee ist sauerstoffreiches Nordseewasser. In den vergangenen Jahren strömte es jedoch nur sporadisch, wie Statistiken zeigen, in die Ostsee hinein. Umso wichtiger wäre ein striktes Verbot, weiterhin Schadstoffe ins Baltische Meer zu leiten. Das indes bleibt frommer Wunsch, solange der Wahn vom grenzenlosen Haben, Haben, Haben unseren Alltag durchdringt. Normalerweise müssten wir die Ostsee um Benutzungsrechte bitten, sie hegen und pflegen und ihr zum Dank für die Meeresfrüchte, die sie uns schenkt, mit Ehrfurcht begegnen. Auch eine Rückkehr zur Bescheidenheit wäre nicht falsch. Altmodische Vokabeln?
    Während wir ans Ostseeufer zurückschwimmen, stellen wir uns kilometerlange Lichterketten in der Ostsee vor – Warnblinken ihrer weisen Meeresbewohner, die daran gemahnen, dass die sonnenreichste Küste Deutschlands wie die Würde des Menschen unantastbar zu sein hat. In diesem Moment funkeln die Perlmuttkleider der Sternschnuppen auf den Wellen besonders hell, bläulich, grün, silbern. Vielleicht flirtet die Ostsee gerade mit einem Seepferdchen, das sich in ihre Nähe verirrte. Oder lauscht den Gesängen der Buckelwale in weiter Ferne – glücklich, dass es sie gibt.

Unter meergrünen Helmnadeln
Zwischen Lübecker Giebelhäusern
    »Ein Fotograf gerät auf den Einfall, in der alten Stadt Lübeck nicht die Kunstwerke von Rang, sondern jenes schmückende Beiwerk zu knipsen, das der guten Laune von Meistern und Gesellen dreier gotischer Jahrhunderte entsprang. Er steigt auf hohe Leitern und holt sich drollige Figuren von den Gewölben, er nimmt die hölzerne Lebewelt des Chorgestühls unter die Lupe und entdeckt allerorts heimliche Fabulierlust, herrliche Ornamentik und mancherlei Späße.« Nur Lübeckern, wenn überhaupt, wird jener Fotograf ein Begriff gewesen sein, der 1936 im Ullstein Glanzmagazin Die Dame so köstlich beschrieben wird. Außerhalb der Hansestadt – und daran hat sich bis heute nichts geändert – kannte kaum einer diesen Mann, der sich Löwenreiter und Narren, Fabeltiere und hockende Konsolmännlein, böse Weiber und friedliche Kerzenhalter vor die Linse setzte, um sie zu fotografieren. Doch genau das war es, was Wilhelm Castelli reizte, als er die Lübecker Backsteinkirchen mehrere Jahre lang mit seiner Leica abklapperte. Hunderte von Aufnahmen mittelalterlicher Kleinskulpturen und Zierstücke am Gestühl, an Orgeln, an Altären verwahrte er in seinem Negativarchiv. Und keine noch so bizar re akrobatische Verrenkung war ihm zu mühsam, um im Lübecker Dom, in St. Marien, in St. Jacobi oder im alten Burgkloster jene Motive einzufangen, die der

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