Lesereise Friaul und Triest
hat Wasser – und der Karst eine neue Sensation, sein immer noch unerforschtes Dunkel. Grotten, Höhlen, Dome mit sagenhaften Tropfsteingebilden soll es dort geben, erzählt man sich. Gerüchte von fantastischen Landschaften weit unter der Erdoberfläche machen die Runde. Sie schicken die Menschen ins Abenteuer.
Schon das Wort lässt die Härte und Eigenart des Landstrichs erahnen. Il carso , wie der Karst auf italienisch heißt, kras auf Slowenisch, und auf Kroatisch krš : steiniger und unfruchtbarer Boden, so die Übersetzung. Karst als Ausdruck für eine geologisch spezifische Landschaftsform wird inzwischen auf der ganzen Welt verwendet. Doch der eigentliche Karst, der Ur-Karst, zieht sich von Görz über das Triestiner Hinterland bis zu den Dinarischen Alpen.
Einst haben sich hier riesige Waldflächen ausgebreitet, eine fruchtbare Hochebene, weit und grün. Bis die Römer die Wälder rund ums Mittelmeer abholzten, um Schiffe zu bauen. Die Venezianer holten sich das Holz für die Pfähle, auf denen ihre Stadt ruht. Raubbau an der Natur, die sich davon bis heute nicht erholt hat. Ein Stück geschundene Landschaft, von verhaltener Schönheit und Eigenart.
Wasser hat dem porösen Kalkstein über Jahrtausende hinweg zugesetzt und dem Felsen unverwechselbare Formen abgerungen: Karren, Schratten und Dolinen, Türme, Schlotten und Erdorgeln, dazu Trichter und Krater. Eine kantige Szenerie mit bizarren Auswüchsen. Das Auge krallt sich fest und zieht die scharfen Klüfte und Schrunden entlang. Dort, wo sich die Vegetation zurückgezogen hat, ist nichts Sanftes in dieser Landschaft, sie wirkt schroff, abweisend und unnahbar. »Hier ist Geröll und Tod. Aber wenn ein Wort aus dir geboren werden soll – küsse den wilden Thymian, der das Leben aus den Steinen saugt.« Große Worte, Scipio Slataper. Karges, unwegsames Terrain, Phantasma und Ort des Schreckens, Symbol für das Leben, das sich gegen Tod und Vergehen zur Wehr setzt. Eine weite Projektionsfläche, nicht nur für Dichter.
Auf den ersten Blick scheint der Karst ein Landstrich ohne Wasser. Regen und Schnee versickern im Gestein und fressen Gänge, Tunnel und Hohlräume heraus. Grotten, die wachsen, aber auch wieder in sich zusammenstürzen, in einem endlosen Kreislauf. Auf diese Weise ist ein weit verzweigtes, labyrinthisches Höhlensystem entstanden, durchzogen von unterirdischen Flüssen, die am Rand des Karsts an die Oberfläche drängen. Karstquellen nennt man diese Stellen – doch eigentlich liegen die Ursprünge dieser Bäche im Dunkel des Gesteins.
Könnte es sein, dass der Timavo die Menschen tatsächlich über Jahrtausende hinweg in die Irre geführt hat? Erst in San Giovanni del Duino zeigt er sich unverstellt: An drei Stellen sprudelt er aus dem Gestein, als breiter, weiß schäumender Fluss. In schnellen Wellen zieht er davon, er hat es eilig, das Meer ist nicht weit. Schon in der Antike fand sich an jener Stelle, da er an die Oberfläche drang, ein Quellheiligtum. Später erbaute man hier eine Kirche, San Giovanni in Tuba: ein schlichter romanischer Bau, umgeben von hohen Bäumen. Er thront auf den Ruinen eines frühchristianischen Gotteshauses. Unweit der heutigen Mündung des Timavo, jenseits der einstigen Römerstraße, liegt eine Höhle, und darin ein Mitras-Heiligtum, wie man es in Europa nur mehr selten findet. Ein sakraler Bezirk, dem Flussgott Timavus geweiht.
Schon Vergil hat den Ort besungen und die Quelle des Timavus mit seinen einstmals neun Wasserarmen in der Aeneis bewundert: »Wo er, mit dumpfem Getöse des Bergs, neun Schlünden entrollend,/ Geht zu brechen das Meer und den Schwall an die Felder empor braust.« Ein eindrucksvolles Bild. Und wenn nun hier, wo das Wasser aus dem Felsen schäumt, der Weg in die Unterwelt begänne, vielleicht in eine der Höllen, wie Dante vermutet hat? Der Karst sei nichts anderes als ein furchtbarer versteinerter Schrei, so Scipio Slataper. »Die Erde hat keinen Frieden, keine Fugen. Sie hat kein Feld, um sich auszubreiten. Jeder ihrer Versuche reißt und versinkt in den Abgrund. Kalte dunkle Grotten.«
Etwa dreißigtausend Höhlen soll es im Karstgebiet geben, gut dreitausend davon sind erkundet, weitere sechshundert werden jedes Jahr neu entdeckt. Die meisten sind leer, nur in einigen wenigen finden sich Spuren prähistorischer Besiedlungen. Die Grotta Gigante gilt als eine der imposantesten, mindestens so groß wie der Petersdom. Damit lässt sich Staat machen. Seit 1840 weiß man von dieser
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