Lesereise Friaul und Triest
Nach dem Aussterben der Tybeins gelangt Duino über die von Wallsees in die Hand der Habsburger, die es verschiedenen Burgherren überschreiben, ehe es schließlich im Besitz der della Torre-Hofer-Valsassinas landet. Deren Herrschaftsbereich erstreckt sich bald schon über achtundvierzig Dörfer des Friaul und zwei Seehäfen, ihnen untersteht die Gerichtsbarkeit für Cormòns und Mariano. Entsprechend prächtig gestaltet sich das Innere von Duino. Mitte des 19. Jahrhunderts sterben die della Torre-Hofer-Valsassinas aus und müssen den Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürsts das Schloss überlassen.
Womit nun die Jahrhunderte durchmessen und die Geburt der Tochter Marie anzuzeigen wäre. Sie heiratet einen entfernten Vetter, den Prinzen Alexander von Thurn und Taxis, dessen Ahnenlinie auf die italienischen della Torres zurückgeht, und bringt Duino in die Ehe mit und in die Familie seiner früheren Besitzer zurück. Schon Maries Mutter, Teresa Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst, hat sich gerne mit Künstlern umgeben. Franz Liszt hat eines ihrer Gedichte vertont, Johann Strauß für sie musiziert. Tochter Marie von Thurn und Taxis bewegt sich zwischen den Besitzungen in Duino, Venedig und im böhmischen Lautschin, um dort ihrer Leidenschaft, der Kunst, zu frönen. »Marie von Thurn und Taxis«, so Rudolf Kassner, Philosoph und enger Freund Rilkes, »war zunächst einmal das, was man eben große Dame nennt, sie war es im eminenten Sinne, und es hat wohl auf alle Menschen, die ihr nahe kamen, als solches gewirkt.«
In jenem Dezember 1909, da Marie von Thurn und Taxis und Rainer Maria Rilke einander in Paris beim Tee im Salon der Comtesse de Noailles kennenlernen, hat der Dichter gerade erst seine »Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge« beendet. Seit Veröffentlichung des »Stundenbuchs« gilt er als einer der bedeutendsten Lyriker seiner Tage. Die Türen zu Palais und Schlössern stehen ihm offen, er selbst sucht den Kontakt zum Adel und über diesen die Verbindung zur europäischen Geistes- und Kulturgeschichte. »Ich war angenehm überrascht, zugleich aber auch ein wenig enttäuscht«, schreibt Marie von Thurn und Taxis über diese erste Begegnung, »denn ich hatte ihn mir ganz anders vorgestellt – nicht diesen ganz jungen Menschen, der fast wie ein Kind aussah; er erschien mir im ersten Augenblick sehr häßlich, zugleich aber sehr sympathisch. Äußerst schüchtern, aber von ausgezeichneten Umgangsformen und einer seltenen Vornehmheit.«
Wenige Monate später, im April 1910, ist Rilke erstmals in Duino zu Gast. Kurz darauf ist man in Venedig, dann in Lautschin verabredet. »Mir schien«, so schrieb Marie von Thurn und Taxis über diese Treffen, »als hätten wir uns schon von jeher gekannt, nichts Fremdes stand zwischen uns.«
Seit seinem ersten Besuch hat sich Rilke nach Duino zurückgeträumt, »fort, fort und in der Entrückung wohnen«. Im Oktober 1911 trifft er zum zweiten Mal dort ein. »Sollen Sie auch gleich wissen, wo ich bin«, schreibt er an Hedwig Fischer, die Frau seines Verlegers, »bei meinen Freunden in diesem immens ans Meer hingetürmten Schloß, das wie ein Vorgebirg menschlichen Daseins mit manchen seiner Fenster (darunter mit einem meinigen) in den offensten Meerraum hinaussieht, unmittelbar ins All möchte man sagen und in seine generösen, über alles hinausgehenden Schauspiele, – während innere Fenster anderen Niveaus in still eingeschlossene alte Burghöfe blicken, darin spätere Zeiten um alte Römermauern die Milderungen barocker Balustraden und mit sich selbst spielender Figuren gewunden haben. Dahinter aber, wenn man aus allen den sicheren Toren austritt, hebt sich, nicht weniger unwegsam denn das Meer, der leere Karst, und das so von allem Kleineren ausgeräumte Auge faßt eine besondere Rührung zu dem kleineren Burggarten, der dort, wo das Schloß nicht ganz den Abhang bildet, wie die Brandung sich hinunterversucht, und der Wildpark, der den nächsten Ufervorsprung für sich ausnutzt, kommt zu Bedeutung; an ihm liegt, verstürzt und hohl, der noch ältere Burgbau, der diesem schon unvordenklichen Schloß noch voranging und an dessen Vorsprüngen, der Überlieferung nach, Dante verweilt haben soll.«
Ein verheißungsvoller Ort für einen Dichter, der sich kraftlos und in einer Schaffenskrise wähnt. Rilkes Erwartungen an Duino sind groß, doch die herbeigesehnte Inspiration lässt auf sich warten. Marie von Thurn und Taxis versucht ihn zu beschäftigen. Die beiden lesen
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