Lesereise Friaul und Triest
Habsburgs, in die Boudoirs der griechischen, englischen und belgischen Royals.
Eine Familie stellt sich dar. Und mittendrin ihr wohl berühmtester Gast, Rainer Maria Rilke. Nach ihm hat man nicht nur den malerischen Klippenweg von Aurisana nach Duino benannt, ihm begegnet man auch im Inneren des Schlosses. Bücher, Fotos und Briefe hinter Glas, der rote Salon, der des Poeten liebstes Zimmer gewesen sein soll. Hier steht auch jenes Pianoforte, auf dem schon Liszt musiziert hat. Und schließlich die Rilke-Terrasse, eine üppig begrünte Loggia mit spektakulärem Blick aufs Meer.
Nach Duino ist er nach 1914 zwar nie mehr zurückgekehrt, doch die Verbindung zu Marie von Thurn und Taxis blieb bis zu seinem Tod im Dezember 1926 bestehen. Sie war keine von Rilkes schöngeistigen Verehrerinnen, die sich im Licht seiner Kunst zu sonnen suchten. Im Gegenteil: Marie von Turn und Taxis sei eine bodenständige Frau gewesen, erzählt man sich. Sie begleitet Rilke als mütterliche Freundin. Und so erlaubt er’s ihr auch, sein mitunter abgehobenes Gedankengebäude immer wieder auf den Boden zurückzuholen. Als er ihr im Juni 1921 verzweifelt gesteht, er sei nun entschlossen, die zu seinem Leidwesen unvollendet gebliebenen Elegien als Fragment zu veröffentlichen, bringt sie ihren Dottor Serafico, wie sie ihn nennt, händeringend davon ab. »Um Gottes willen, Serafico, tun Sie das ja nicht! Unter keiner Bedingung – die Elegien müssen vollendet werden – und sie werden es – ich schwöre es Ihnen – warten Sie nur, warten Sie … ich weiß, daß es kommen muß …« Und es kommt. Zwischen dem 7. und dem 11. Februar 1922, mehr als zehn Jahre nach seiner ersten Begegnung mit dem Duineser Elegien-Gott, hört er ihn wieder, diesmal im Château de Muzot im schweizerischen Wallis.
Am Abend des 11. Februar kann Rilke seiner Freundin Marie von Thurn und Taxis die Vollendung seines Herz-Werks vermelden. »Endlich, Fürstin, endlich, der gesegnete, wie gesegnete Tag, da ich Ihnen den Abschluß – so weit ich sehe – der Elegien anzeigen kann. Zehn! Von der letzten, großen: (zu dem, in Duino einst, begonnenen Anfang: ›Daß ich dereinst, am Ausgang der grimmigen Einsicht,/ Jubel und Ruhm aufsinge zustimmenden Engeln …‹) von dieser letzten, die ja auch, damals schon, gemeint war, die letzte zu sein, – von dieser – zittert mir noch die Hand! Eben, Samstag, den elften , um sechs Uhr abends, ist sie fertig! – Alles in ein paar Tagen, es war ein namenloser Sturm, ein Orkan im Geist (wie Damals auf Duino ), alles, was Faser in mir ist und Geweb, hat gekracht, – an Essen war nicht zu denken, Gott weiß, wer mich genährt hat. Aber nun ists . Ist. Ist. Amen.« Dem Himmel sei Dank.
Flut, Ebbe, Flut
In der Lagune von Grado gehen die Uhren anders
Natürlich hat jeder seinen Kalender, auch in Grado. Taschenkalender, Wandkalender, Filofax. Auch Licio Visca hat einen. Doch seiner zeigt ganz spezielle Daten. Licio ist Fischer und sein calendario delle maree fast noch wichtiger als Boot, Angel und Netz: Seine Tage richten sich nach dem Meer und den Gezeiten, nach den Berechnungen von Ebbe und Flut.
In Grado gehen die Uhren anders, nicht nur für Licio Visca und die dreihundert anderen Fischer. Wer hier lebt, auf der Nehrung zwischen Festland und Meer, fühlt sich als Insulaner, dem übrigen Friaul nicht wirklich verbunden oder verwandt. Der Stammbaum weist westwärts: Grado sei die Mutter von Venedig, heißt es. Die Sprache der Gradeser ähnelt dem Venezianischen, das Leben ist auf die Lagune und aufs Meer hin ausgerichtet. Beide Städte haben sich entwickelt, als die Menschen auf dem Festland bedroht wurden und den Rückzug aufs Wasser antraten, auf jene Sandbänke und Inselchen, die das Meer freigab. Hier, wo keine Schiffe ankern konnten und unwägbare Kanäle und Sümpfe die Wege erschwerten, brachte man sich vor Feinden und Invasoren in Sicherheit.
Grado stand lange Zeit im Schatten von Aquileia, einer der mächtigsten Städte des Imperium Romanum. Um 180 vor Christus gegründet und als Bollwerk gegen Karnien befestigt, wurde Aquileia bald schon zum strategischen und wirtschaftlichen Zentrum Norditaliens und zur Hauptstadt der Provinz Venetia et Histria. Von hier aus starteten die Römer zu Feldzügen, hier zeigten sie Selbstbewusstsein und Macht. Neben den Häusern und militärischen Anlagen gab es ein Theater, ein Stadion und Thermen. Dazu einen Hafen, der sich der Welt öffnete. Händler und Seefahrer brachten Sprachen,
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