Lesereise Friaul und Triest
Chor mit der Gebetsliga. Wenn nur seine Versuche, wieder an die Macht zu kommen, nicht gescheitert wären, dann, ja dann hätte er zeigen können, was in ihm steckte. »Gewiss, ein Monarch kann auf Regierungsdauer ein Trottel sein, das widerstreitet nicht monarchistischem Gedanken«, spottete Karl Kraus schon in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. »Wenn er sich aber auch in der Zeit, da er kein Monarch mehr ist, wie ein Trottel benimmt, nämlich durch die Art, wie er wieder ein Monarch werden möchte, so sollte man doch meinen, dass auch die Anhänger des monarchistischen Gedankens ihm die Eignung hierzu absprechen müssten.«
Schon 1925 begannen die Bewunderer Karls I., die Seligsprechung des Kaisers zu betreiben. Selbst das dafür erforderliche Wunder konnte man schließlich nachweisen: die Heilung einer in Brasilien lebenden, polnischstämmigen Nonne, die Karl im Gebet angerufen hatte und daraufhin ihrer Krampfadern ledig war. Giftgas? Ja natürlich, er habe davon gewusst. Aber wirklich gewollt habe er den Einsatz ja nicht. Natürlich nicht, und an sich selbst hat er nie gedacht. Nun ist er selig, das immerhin. Presente. Presente. Presente.
Wer, wenn ich schrie, hörte mich?
Rilke, Schloss Duino und die Eingebungen von oben
Er sei’s nicht gewesen, beteuert der Dichter. Mit Nachdruck, und immer wieder. Eine fremde Stimme habe ihm die ersten Zeilen seines Herz-Werks eingegeben. »Wer, wenn ich schrie, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen?« Das müsse der Gott der Elegien gewesen sein, der da zu ihm gesprochen habe. Rainer Maria Rilke ist sich ganz sicher. Allein diesem seien die »Duineser Elegien« zu verdanken.
Dass sich ihm, nach längerem Warten, eine Nachtigall nähert, hat er schon Tage vor jenem Erlebnis gespürt. Wochen und Monate hat er als Gast der Familie von Thurn und Taxis auf Schloss Duino verbracht, um sich zu erholen und zu neuer Schaffenskraft zu finden. Wiewohl, die Inspiration will sich nicht einstellen. Bis zu jenem Tag, dem legendären 21. Januar 1912, da ihn der Unmut über die Beantwortung eines lästigen Geschäftsbriefs vom Schreibtisch und aus seinem Zimmer treibt. Die Sonne scheint auf das silbern glänzende Meer, Windböen jagen um das Schloss. Rilke steigt zu den Bastionen ab. Dort, etwa zweihundert Meter über den Fluten, so Rilke, sei ihm aus dem Brausen der Bora eine Stimme entgegengekommen. Er habe, so berichtete er, diese Zeilen umgehend in seinem Notizbuch festgehalten, um sie nicht zu verlieren. Schon wenig später – weitere Verse. Und des Abends, zurück in seinem Zimmer, sei dann die erste Elegie vollendet gewesen. Eine Offenbarung. Und es geht noch weiter: Ende Januar und Anfang Februar fallen ihm neue Strophen zu, die zweite Elegie, die Anfänge der dritten, der sechsten, der neunten und ein paar weitere Bruchstücke, die er noch nicht zuzuordnen weiß. Und schließlich noch der Beginn der zehnten. Eines der bedeutendsten lyrischen Werke der deutschsprachigen Literatur ist geboren, die »Duineser Elegien«, zur Welt gekommen in einem Schloss nahe Triest.
Ein besonderer Ort? Das allemal. Wie ein Versprechen thront der Ansitz auf einer Klippe. Unten, an der Küste, schlagen die Wellen an den Fels, oben thront eine Burg und streckt ihre Mauern in den Himmel. Von hier aus findet der Blick weite Wege: Er zieht über den Golf von Panzano, verliert sich im Meer, ankert an der istrischen Küste und in der Bucht von Triest und kommt erst in den Höhenzügen des Karsts zur Ruhe.
Die Geschichte von Duino und seiner Besitzer ist typisch fürs Friaul und seine zahlreichen adeligen Familien, für deren Besitztümer und die verschlungenen Linien der Erbfolge. Schon der heutige Turm, sagt man, stehe auf historisch bedeutsamem Boden, auf den Ruinen einer Befestigungsanlage aus jener Zeit um etwa 180 vor Christus, da die Römer die in Oberitalien lebenden Kelten zu vertreiben suchten. Sie gründeten Aquileia und bauten eine Straße nach Tergeste, dem heutigen Triest, und weiter nach Istrien.
Von einem Schloss Duino weiß man seit dem Mittelalter. Damals bewohnen die Herren von Tybein, ein wahrscheinlich karolingisches Adelsgeschlecht, ein Anwesen an der Küste. Doch Hugo VI . (1344–1391), zu Ansehen und Vermögen gekommen, erachtet sein altes Zuhause als zu eng und wenig repräsentativ. Und so lässt er auf dem gegenüberliegenden Felsvorsprung ein neues Schloss errichten. Es wird immer weiter ausgebaut, ehe es in der Renaissance seine heutige Form bekommt.
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