Lesereise Friaul und Triest
Religionen und Kunstgüter aus dem Orient mit, Künstler legten die Kirchen mit prachtvollen Mosaiken aus. Sie spiegeln den Glauben des frühen Christentums, das hier auf fruchtbaren Boden traf: Der Herrschaftsbereich der jungen Diözese dehnte sich bald schon bis zu den Alpen hin aus. Doch mit der Veränderung der Lagune – größere Schiffe konnten den Hafen nicht mehr anlaufen – verlor die Stadt an Bedeutung. Als dann auch noch die Hunnen und Goten über das Friaul hereinbrachen, flüchtete der Klerus nach Grado, um nach deren Abzug nochmals nach Aquileia zurückzukehren. Erst nach dem Einfall der Langobarden und innerkirchlichen Streitigkeiten entschieden sich die beiden Patriarchen längerfristig für einen Bischofssitz: Der eine residierte fortan in Cormòns und später Cividale, der andere in Grado.
Aquileia verfällt, doch Grado, das nunmehrige Aquileia nova, erlebt eine Blüte. Bis die Karawane weiterzieht – diesmal nach Riva alta, nach Rialto, einer kleinen Insel im Herzen der Lagune von Venedig. Um 1156 übersiedelt auch der Patriarch von Grado in die Serenissima, und mit ihm die Macht. Grado fällt in den Rang einer Provinzstadt zurück. Doch sie hat ihre Geschichte bewahrt, bis heute. Der Dom Sant’Eufemia, ehemals Sitz des Patriarchen, mit seinen Bodenmosaiken, der romanischen Kanzel und dem angrenzenden Baptisterium, die Kirche Santa Maria delle Grazie und die Reste der Basilika San Giovanni: unverwechselbare Zeugnisse frühchristlicher Kunst. Wie Findlinge thronen sie in der Altstadt, umgeben von einem Gewirr kleiner Gassen und Durchgänge, mittelalterlicher Loggien, Portale und Türme.
Entlang der breiteren Straßen Boutiquen, Trattorien und Gelaterias, ein Lärmen bis in die Nacht hinein. Grado zählt zu den beliebten Ferienkolonien der Österreicher, Deutschen und Italiener. Seit 1936 gibt es eine Brücke, die das Festland mit der città vecchia und den Sandstränden verbindet. Die Anreise ist bequemer geworden, die Touristenströme reißen nicht mehr ab. Nur im Winter, wenn Feuchtigkeit und Wind durch Mauern und Gebälk ziehen, gehört die Stadt den Gradesern allein.
Milchiges Dezemberlicht liegt über dem Wasser. Ein ganz eigener Kosmos, die Lagune von Grado. Niemandsland, über zwölftausend Hektar groß, nicht Land, nicht Meer, still, geheimnisvoll, unergründlich. Flache Wasserstücke, kaum mehr als einen Meter tief, Inseln und Kanäle zwischen Küste und Sandbänken. Ein Rückzugsort für Reiher, Seeadler und Kormorane, für Stockenten und Rohrhühner. Ab und zu ein Boot, das träg übers Wasser zieht. Früher einmal haben die Fischer an den Ufern der Laguneninseln geankert, wo ihre Familien in einfachen Hütten lebten, den casoni : nur ein Raum, mit Kochstelle, Tisch und Nachtlager. Alles, was die Umgebung hergab, wurde für den Bau verwendet, Schilf, Weidenruten, Stroh, etwas Holz. Häuser wie Zellen. Die meisten sind heute verlassen, nur ein paar von ihnen stehen geblieben – für jene, die sich ein ruhiges Wochenende gönnen, oder auch für Ausflügler auf ihren Fahrten durch die Lagune.
Den Fischern von heute sind die Wohnungen und Häuser in Grado viel lieber. Ihre Boote lagern im Porto Mandracchio und an den zahlreichen privaten Anlegestellen. Von dort aus gehen sie auf Fahrt. Er sei meistens mit einem Freund unterwegs, erklärt Licio Visca, und zwar auf einer batela , einem der typischen Lagunenboote: ein gut sechs Meter langes, grünes Schiff, robust und leicht zu navigieren. Bis in die fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts sind die Fischer mit Ruder- und Segelbooten unterwegs gewesen, heute tuckern sie in kleinen Schiffen mit Außenbordmotoren durch die Lagune.
In einer Fabrik zu arbeiten, in einem Büro, unter den strengen Augen eines Chefs? Nein, das sei nichts für ihn. Licio lacht. Kurze Hosen, ein kariertes Hemd, blau blitzende Augen, ein paar graue Strähnen im dunkelblonden Haar. Der Schalk sitzt ihm im Nacken. Er wirkt entspannt. Schon sein Vater habe geangelt, aber das nur als Hobby und in der Freizeit. Als der Sohn zwölf ist, bekommt er seine erste batela . Seit fünfzehn Jahren ist das Fischen sein Beruf – und zugleich Berufung: Er ist mit ganzem Herzen dabei, gesteht Licio, anders geht es nicht. Die Passion sei wichtig, gerade auch, weil die Arbeit hart sei. Am späteren Nachmittag oder frühen Abend fährt er hinaus, um die Netze auszulegen, dann kehrt er nach Grado zurück. Zwischen vier und fünf Uhr früh werden die Netze wieder eingeholt. Und
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