Lesereise - Inseln des Nordens
ausschließlich der getrockneten Variante – dem Stockfisch. Um einen Fisch in einen Stockfisch zu verwandeln, braucht es Zeit, Sonne und Wind: Zum Trocknen werden je zwei Fische an den Schwänzen zusammengebunden und auf Holzgestellen aufgehängt. So weit, so scheinbar einfach . Wie guter Wein, braucht auch guter Stockfisch ganz bestimmte Klimabedingungen, um sein Aroma optimal entfalten zu können. Und diese Bedingungen herrschen nur auf den Lofoten. Wind brauche es, erklärt Larsen, und Kälte. Allerdings dürfe auch nicht zu viel Wind wehen und allzu oft unter null wiederum dürfe das Thermometer auch nicht fallen. Und zu viel regnen sollte es ohnehin nicht.
In der Zukunft könnte die Klimaerwärmung zum größten Feind des Stockfisches werden. »Früher konnte man die Fische bis in den April hinein zum Trocknen aufhängen, heute muss man sie schon im März von den Stangen herunterholen«, so Larsen. Danach wird es nämlich zu warm, und die Fliegen machen sich über den Fisch her.
Noch aber ist der Winter auf den Lofoten lang genug, um die Fische trocknen zu können, und so findet die in der Wikingerzeit begonnene Tradition der Stockfischherstellung zumindest in der näheren Zukunft ihre Fortsetzung. Der Winter ist auf den Lofoten die Zeit des Fischfangs. Dann lebt die Insel drei Monate auf Hochtouren und die Trockengestelle füllen sich allmählich mit Fisch – der Himmel auf den Lofoten hängt dann voller Fische. Larsen sieht das weniger poetisch, sondern nennt, ganz Praktiker, konkrete Zahlen: drei- bis vierhunderttausend Quadratmeter Inselfläche sind mit Stockfisch bedeckt. Und dann liegt auch ständig ein leichter Fischduft über der Insel. Larsen stört das nicht. Er lacht und spricht vom »Geruch des Geldes«.
Wie lange man diesen Duft noch riechen kann, hängt auch davon ab, wie sorgsam die Menschen mit der Ressource Fisch umgeht. Steinar Larsen erzählt, dass man früher, als er zum Fischen hinausgefahren sei, bestenfalls fünfhundert Kilo Fisch pro Stunde habe fangen können, heute schafft man mit dem Schleppnetz ein Vielfaches: Der Rekord liegt bei dreiunddreißig Tonnen in einer einzigen Stunde. Schleppnetz oder nicht? In Larsen scheinen in dieser Frage zwei Herzen zu schlagen: Das des Fischhändlers, der den kurzfristigen Profit sieht, und das des traditionellen Fischers, der die Grundlage seines Berufs allmählich schwinden sieht. »Die Schleppnetze sind so effektiv geworden, dass sie gefährlich sind«, sagt er, »aber solange die Wissenschaftler sagen, es geht …« Den Satz beendet er nicht.
Fakt ist: Durch die Überfischung sind die Dorschbestände in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen und Stockfisch, einst ein Arme-Leute-Essen, ist zur Luxusware geworden. In Italien, Portugal und Spanien zahlt man den hohen Preis jedoch gerne. Dort war der getrocknete Fisch aus dem Norden schon im Mittelalter sehr beliebt. Frischer Fisch verdarb in dem heißen Klima schnell. Stockfisch war für Menschen, die nicht direkt am Meer lebten, die einzige Möglichkeit, Fisch zu essen. Auch der strenge Katholizismus im Süden Europas trug zur Beliebtheit des Stockfisches bei: Den Gläubigen wurde für die Freitage und die Fastenzeit Fleischlosigkeit auferlegt, und so bürgerte sich Stockfisch als Fasttagsmenü ein.
In Norwegen selbst ist Stockfisch nicht besonders beliebt. Das mag daran liegen, dass man hier genügend hervorragenden Frischfisch bekommt. Lutefisk , eine Weiterverarbeitung des Stockfisches, isst man allerdings auch im Norden gerne. Der kommt besonders zu Weihnachten auf den Tisch. Um lutefisk herzustellen, muss man den getrockneten Fisch mehrere Tage in kaltes Wasser und Natronlauge einlegen. Eine ziemlich geruchsintensive Prozedur, die noch dazu zu einem Ergebnis führt, das die meisten mitteleuropäischen Gaumen nicht besonders schätzen. Aber vielleicht sind es ohnehin die Beilagen, die lutefisk für Steinar Larsen und seine Landsleute zu einem Festtagsessen werden lassen: Speck, Erbsenpüree, Kartoffeln und Aquavit. Sehr viel Aquavit.
R. K.
Wal in Sicht
Vor den Vesterålen werden Wale gejagt: Von Walfängern mit der Harpune und von Touristen mit der Kamera
Birthe weiß, was Touristen wünschen. »Die Gäste wollen möglichst viele Wale sehen, das ist der einzige Weg, um sie glücklich zu machen.« Birthe ist Guide auf einem der beiden Schiffe von »Havalsafari AS « in Andenes, einem kleinen Ort auf den nordnorwegischen Vesterålen-Inseln. Von hier aus kann man in zwei Stunden
Weitere Kostenlose Bücher