Lesereise - Inseln des Nordens
den Vesterålen sind nämlich ausschließlich Pottwalmänner unterwegs. Die Weibchen leben weiter im Süden auf Höhe der Kanarischen Inseln und dorthin machen sich die Herren Jahr für Jahr zur Paarungszeit auf die Reise. In den fischreichen Gewässern Nordnorwegens scheint es ihnen aber dann doch besser zu gefallen – nach den Flitterwochen kehren sie nämlich schleunigst dorthin zurück.
Pottwale können bis zu eineinhalb Stunden am Stück tauchen, nach jedem Tauchgang bleiben sie dann zehn bis fünfzehn Minuten an der Wasseroberfläche, bevor es erneut in die Tiefe geht. Unser Wal hat es da eiliger. Nach etwa einer Minute verabschiedet er sich von uns. Zum Abschied winkt er aber noch mit seiner riesigen Schwanzflosse in die Kameraobjektive.
R. K.
Die Entdeckung Grönlands – in mehreren Etappen
Der lange Weg von Tranlampen zu Satellitenschüsseln
Vor einigen Jahren besuchte ich im Winter in Sermiligaaq an der Ostküste Grönlands die achtzigjährige Gudrun und ihren Mann Thorvald. Sie war praktizierende Schamanin, Thorvald Laienpriester. Sie wohnten in einem roten Holzhaus. In diesem Haus lebten die alte und die neue Kultur Grönlands nebeneinander. An der Wand hingen Christusbilder, daneben lag Gudruns Trommel für Trancetänze. Aus einem zum Trocknen aufgespannten Robbenfell tropfte Fett auf den Teppichboden. Im Vorraum stolperte ich über Gummistiefel und dicke Jacken, schaffte es kaum, mich schnell genug der dicken Kleidung zu entledigen, um nicht gleich fürchterlich zu schwitzen. Wärme galt in Grönland immer schon als Luxus, wer es sich heute leisten kann, macht es sich bullig warm in der Wohnstube. Und während draußen bei klirrender Kälte Erfrierungen drohen – sitzt drinnen die ganze Familie im Unterhemd vor dem Fernseher.
Es war ein langer Weg bis hierhin, von den Tranlampen, die in Grassodenhäusern gerade mal ein bisschen Licht und Wärme spendeten, wo die Bewohner sich in dicke Eisbärenfelle gehüllt zusammenkuscheln mussten, um die unendlich langen Winter zu überstehen. In den alten Zeiten wurden zur Unterhaltung Sagen von Generation zu Generation weitererzählt und die ekstatischen Trommeltänze dargeboten, die den Schamanen, angakoks genannt, halfen, sich in Trance zu singen. Heute sieht man auf fast allen Häusern in Grönland Parabolantennen – denn nirgends auf der Welt können per Satelliten mehr Sender empfangen werden als in diesen weltabgelegenen Dörfern.
Grönland wurde um das Jahr 1000 entdeckt. An diesem Satz ist so viel Wahres dran wie an der Behauptung, 1492 sei Amerika entdeckt worden. Der Wikinger Erik der Rote ließ sich um das Jahr 985 an der Westküste Grönlands nieder – aber so wie in Amerika seit Jahrtausenden Indianer lebten, gab es in Grönland Eskimos. Normannische Einwanderer aus Island, also die Wikinger, kamen viel später nach Südwestgrönland als die Vorfahren der heutigen Grönländer, die lange zuvor von der kanadischen Arktis her eingewandert waren. Die Urgeschichte Grönlands beginnt auf der anderen Seite des amerikanischen Kontinents im Beringstraßengebiet.
Wirklich entdeckt wurde Grönland also vor über viertausend Jahren von Nomadenstämmen, die aus Sibirien über die Beringstraße auf den amerikanischen Kontinent gekommen waren und weiter nach Osten zogen. Diese Migration erfolgte in Schritten von Hunderten von Jahren, schon damals wurde also Grönland immer wieder von neuen Volksgruppen »entdeckt«. Die ersten siedelten in einem Fjord an der äußersten Nordostküste, sie waren Rentieren und Moschusochsen gefolgt. Erst die nächsten Einwanderer spezialisierten sich auf den Robbenfang. Sie zogen um 1000 vor Christus vom Norden aus an der Westküste herunter und kamen fast bis zum Polarkreis, sie brachten erstmals Hunde nach Grönland.
Doch mitnichten lebten die Inuit dauerhaft in Iglus, diese Schneehäuser dienten nur als Unterkunft auf Reisen. Erst mit der späteren Dorset-Kultur kam der Kajak nach Grönland. Kajak ist eines der eskimoischen Wörter, das ins Deutsche übernommen wurde. So wie Iglu und Anorak: ein warmes Kleidungsstück, in dessen ausgebeulter Kapuze auf dem Rücken ein Kind Platz fand. Wie die vorigen Kulturen verschwand auch die Dorset-Kultur wieder. Vielleicht war es den Inuit wieder einmal zu kalt geworden.
Diese weiten Reisen spiegeln sich in den Mythen der Grönländer wieder. Der Forscher Knud Rasmussen sammelte um 1919 an der Ostküste Eskimosagen, eine erzählt von »Puvia, der von zwei Indianerfrauen entführt
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