Lesereise - Inseln des Nordens
Fleisch. Zuerst gesottenes Walfleisch, das erinnerte mich an Rinderherz. Danach Walrouladen. Ach ja, ein paar Tiefkühlerbsen waren auch dabei. Robbe war aus. Wir nennen das »Greenpeace-Dinner«, sagte das Ehepaar. Ein beliebter Scherz der Inuit, die sich aus Ländern, in denen Milch und Honig fließen, nicht ihren Speisezettel diktieren lassen wollen.
»Und? Hast du rohe Seehundleber gegessen?«, werden Grönlandrückkehrer gefragt. Gar nicht so einfach. Nicht etwa, weil ich mich so hätte überwinden müssen, sie ist schlicht selten zu bekommen. Einmal aber kam ich am Ufer dazu, als Jäger gerade eine Robbe häuteten. Das Fleisch dampfte in der Kälte, sie schnitten die Leber heraus und bissen hinein. Es sah nicht unappetitlich aus, kompaktes Fleisch. Sie boten mir davon an, schnitten mir ein Stück ab. Es war sehr zart und fein. Es schmeckte kein bisschen tranig. Anders als das mattak , das sie auf die Jagd als Imbiss mitnahmen. Wal-Snacks. Die Walhaut mit dem Speck daran ist zäh wie Leder, man kann stundenlang darauf herumkauen. Ohne sich an den Geschmack zu gewöhnen.
Der Geruch von Tran ist für mich das geworden, was anderen der Duft eines in Tee getauchten Kekses ist: ein Erinnerungsbeschleuniger. Der ölig-schwere Fischgeschmack lag über den Häusern Ammassaliks, als ich dort einige Monate lebte. Es wurde gerade Frühling, der Schnee taute, mit den wärmeren Temperaturen nahmen die Gerüche zu. Robbenfleisch ist noch immer das Hauptfutter für die Schlittenhunde, immer wieder schleppte einer eine tote Robbe an einem Haken in die Stadt, zog sie auf den vereisten Wegen wie einen Schlitten hinter sich her.
Im Winter nahm mich ein Jäger auf dem Hundeschlitten mit, keine lange Tour. Seehunde werden meistens gejagt, es gibt aber auch noch eine andere Methode. Er wollte zu einer Robbenfalle. Das ist – Tierschützer sollten jetzt aufhören zu lesen – keine feine Art, Robben zu fangen. Am Eisloch, wo die Robben auftauchen und nach Luft schnappen, wird ein Netz befestigt. Die Robbe verfängt sich darin und verendet. Der Jäger holte so eine Robbe aus dem Wasser. Er wusste, dass ich neugierig war. Er schnitt das Tier auf, holte die Leber heraus. Darin krabbelten weiße Maden, die aussahen wie Garnelen. Er hielt sie mir hin wie ein Stück Schokolade. Ich kapierte, das war ein Scherz. »Zu lange tot«, erklärte er, und warf die Leber weg.
Manchmal liefert sogar die grönländische Natur etwas Grünzeug. An manchen Tagen stehen die Frauen in Ammassalik vor dem Supermarkt, auf dem Boden sind Planen ausgebreitet, bedeckt mit dunkel-graugrünen Pflanzenlappen. Algen. Daraus bereiten sie eine überraschend frisch, wenn auch salzig schmeckende Beilage.
»Kompakt vergorene, schimmlig verdorbene Kuhmilch« sei auch nicht jedermanns Geschmack, sagte der Lehrer nach dem Greenpeace-Dinner. Wobei er sich mittlerweile an den Genuss von Blauschimmelkäse gewöhnt hat.
B. S.
Arktisches Arkadien
Eine Reise nach Spitzbergen
Am Morgen schneit es. Grobe Flocken fallen auf die Schlafsäcke, denn es schneit innen im Zelt. Kondenswasser vom Atmen und Dampf vom Nudelkochwasser legten sich in der Nacht als Eisschicht an die Zelthaut. Als die Ersten ihre steifen Glieder bewegen und dabei an das Zelt stoßen, beginnt es zu rieseln. Noch mag niemand heraus aus dem Schlafsack. Draußen sind etwa minus fünfzehn Grad. Von Weitem ist Priitas Stimme zu hören, sie geht von Zelt zu Zelt, weckt alle, die Hunde beginnen zu heulen. In den Zelten recken sich Studierende aus Tromsø, zumeist Norweger. Sie kamen für eine Woche als arbeitende Gäste nach Spitzbergen, auf eine Hundefarm. Sie reparieren Hütten, flicken Saumzeug, schippen Schnee wie die Berserker. Die eisige Nacht auf dem Gletscher ist nicht Teil der Arbeit, es ist die Belohnung.
Auf Spitzbergen leben knapp dreitausend Menschen, die wenigsten wurden hier geboren, die meisten kamen freiwillig an dieses nördliche Ende der Welt. Warum zieht es Menschen hierher, warum ziehen sie in den Norden? Auf diese Fragen bekommt man vor Ort nur vage Antworten. Die Gehälter seien besser als in Norwegen, sagen die einen. Andere nennen ihr Hiersein Polarfieber. Eine Reise in den Norden, zu Menschen, die hier ihr Arkadien gefunden haben.
Lisa Steffensen
Ihre braunen Haare klemmt Lisa mit einer Haarspange zurück, ein paar Ponyfransen fallen ihr ins Gesicht. Wenn die junge Frau grinst, bekommen ihre Augen einen schelmischen Zug. Grinsen muss sie oft, zum Beispiel bei der Frage, ob sie
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