Lesereise - Jakobsweg
unterstützt.
Hier in Roncesvalles, wo alle vorbeikommen müssen, gibt es endlich wieder Nachrichten von Ursula und Marco. Marco schreibt, einen Tag vor Ursula: »Super, nicht, die heutige Etappe? Streng, aber wunderschön, hier anzukommen. Und auch die Landschaft tat ganz gut, auf den Pyrenäen. Marco (Ultreïa, Ursula).« Ebenso gleichgültig schreibt Ursula einen Tag später: »Nach einem wunderschönen Tag so nahe am Himmel bin auch ich hier angekommen. Ich habe die Herbstsonne sehr genossen und friere jetzt dafür um so mehr. Grüße an alle Pilger, die noch hier Rast machen. Ursula (Hof/Bayern->Santiago).« Irgendetwas muss zwischen den beiden vorgefallen sein. Marco spielt jetzt offensichtlich den Coolen. Nichts mehr mit Pax et Bonum, nein, »super« schreibt er jetzt und »ganz gut«. Und für Ursula hat er nur den 08/15-Pilgergruß »Ultreïa« übrig, noch dazu in Klammern.
Pamplona, 25. Oktober
Was folgt bei uns auf einen starken Föhnsturm? Richtig, der Wettersturz. Das ist hier nicht anders. Heute früh gibt es also strömenden Regen. Noch vor acht Uhr verlassen wir das refugio , schließlich sind wir ja gehorsame Pilger. Das hat den Nachteil, dass keines der beiden Lokale offen hat. Da es auch in der Herberge keine Küche gibt, heißt es, ohne Frühstück in den Regen hinausgehen.
Nach einer halben Stunde sind wir durch und durch nass. Ein »café con leche, por favor« in Burguete ist ein gewisser Trost – der Kaffee in Spanien ist hervorragend. Doch dann aufs Neue: in den Regen hinaus und auf dem schlammigen Waldboden bergab rutschen. Wir sind von der langen Bergetappe gestern noch ziemlich erschöpft, und unsere Hüften fühlen sich ein bisschen so an, als wären sie schlecht geölt. Völlig erschöpft kehren wir in Espinal in eine Bar ein. Hotel, sagt uns die Barfrau, gebe es hier keines. Aber sie könne uns ein Taxi rufen, damit es uns in den nächsten Ort bringe. Wir überlegen. Sollen wir die spanische Wanderung wirklich gleich mit einer Taxifahrt beginnen? Es kommt alles noch schlimmer. Als wir im Taxi sitzen und über den Preis verhandeln, bietet uns der Fahrer einen Sonderrabatt für Pamplona an. Ob wir jetzt 15 oder 30 Kilometer führen, mache keinen großen Unterschied, meint er. Und attraktiv seien die Vororte von Pamplona ohnehin nicht. Außerdem kenne er ein Hotel, direkt am Hauptplatz, wo Pilger eine Ermäßigung bekämen.
Kurz darauf steigen wir im Hotel La Perla ab und bereuen nichts. Schade vielleicht, dass wir nur wie im Zeitraffer erlebt haben, wie die Berge mit ihren Wäldern und Bächen langsam in die Ebene übergehen, wo ein eigenartiges graues Ocker das Grün ablöst und eine für nordeuropäische Augen wüstenartige Gegend beginnt. Dennoch: Wir sind froh, Zeit für Pamplona zu haben. Die Stadt ist imperial, groß angelegt und dennoch nicht kalt, sondern südländisch lebendig. Die Hauptstadt der Provinz (und des ehemaligen Königreichs) Navarra ist mit ihren zweihunderttausend Einwohnern die erste echte Stadt, der wir seit Langem begegnen, und vielleicht genießen wir es auch deshalb so, von einem Café zum nächsten zu wandern und die eleganten Damen und Herren zu bewundern.
Pamplona, das Hemingway so liebte, ist jene Stadt, in der jedes Jahr Anfang Juli eine Herde von Kampfstieren ausgelassen wird. Die Stiere jagen dann durch die engen Gassen der Altstadt, und ein paar lebensmüde Hobby-Toreros versuchen, ihre Hörner zu berühren, was die höchste Mutprobe darstellt. Wie wir vernommen haben, genießt dieses Spektakel heute in Pamplona nicht mehr denselben hohen Stellenwert wie früher. »Das ist doch nur eine Kinderei für amerikanische Touristen«, meint ein Barkeeper, der zu unserem Glück ein wenig Französisch spricht. »Außerdem kommen jetzt immer so viele Leute zu den Sanfermines-Feiern, dadurch wird es immer gefährlicher. Jedes Jahr gibt es Verletzte, oft auch Tote.«
Doch wenn nicht gerade die Stiere hier durchbrausen, lässt es sich gut leben in den kleinen Gässchen. Alles hier ist nach außen gerichtet, für ein Leben auf der Straße und in der Geselligkeit geschaffen – auch Ende Oktober. Es regnet, bei etwa zwölf Grad, auch weiterhin, und dennoch sind die Tische unter den Arkaden besetzt.
In dieser eleganten, urbanen Umgebung fallen wir mit unserer »Ausgehkleidung« besonders unangenehm auf, vor allem uns selbst: schmutzige Hosen, bunte Regenjacken, und – eine verheerende Kombination – Espadrilles mit Socken. So wirken wir wie zwei Fremdkörper
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